E.M. Remarque
Letzte, das Ende, ein
Hexenkessel, hoffnungslos, und da saß ein Mensch drin und war doch gar kein
Mensch mehr – und jetzt laufen wir hier herum, und es ist bloß ein kleines Tal,
da in der Dunkelheit, ein harmloses Hügelchen ...«
Das
Mausoleum ragt weiß in die Dunkelheit. Die Reisebusse sind startbereit. Summend
fahren sie weg mit ihren gepolsterten Sitzreihen.
Wieder
rollt die dunkle Landschaft am Auto vorbei. Ehrenmale, viele Ehrenmale gleiten
durch das Licht der Scheinwerfer. Meist ist auf ihnen von Gloire und Victoire
die Rede. Karl schüttelt den Kopf: »Das erzählt nicht die ganze Geschichte,
nein, überhaupt nicht. Aber sie haben schon recht, daß sie Denkmäler
aufrichten, denn mehr als dort und in der ganzen Umgebung ist nirgends gelitten
worden. Nur eines haben sie ausgelassen: Nie wieder. Das fehlt. Du ...«
Die
Straße erstreckt sich weiß vor uns und steigt langsam an. Hinter den Wolken
kommt der Mond rot und traurig heraus. Allmählich wird er kleiner und heller,
bis er silbern auf den amerikanischen Friedhof vor Romagne scheint.
Vierzehntausend Kreuze schimmern in dem fahlen Licht. Vierzehntausend Kreuze in
Reihen hintereinander – die Augen brennen einem, so verblüffend gerade sind
sie, vertikal, diagonal. Unter jedem ein Grab. Auf jedem eine Inschrift:
Herbert C. Williams, 1. Leutnant, Chemische Kriegsführung, Connecticut, 13. Sept. 1918 – Albert
Peterson, 137. Inf. 35. Div. North Dakota, 28. Sept. 1918 – vierzehntausend –
fünfundzwanzigtausend waren es. Getötet bei dem Angriff auf Montfaucon, getötet
ein paar Wochen vor dem Frieden. Nur ein Friedhof für so viele. Überall, an
Hunderten von Orten, liegen die anderen, die weißen Holzkreuze der Franzosen,
die schwarzen der Deutschen.
Mitten
unter den vierzehntausend Kreuzen auf dem breiten Hauptweg geht, entfernt und
klein, ein einzelner Mann hin und her, hin und her. Das ist bedrückender, als
wäre alles still. Karl drängt weiter.
In
den Städten spielen Kinder auf den Plätzen. Um sie herum sind Geschäfte,
Häuser, Kirchhöfe, Zeitungen, Lärm, Schreie, Straßen, die Welt; aber sie
spielen weiter, in ihre schlichten Spiele versunken, spielen wie überall auf
der Welt.
»Kinder«,
sagt Karl, und in der Dunkelheit sieht man nicht, was mit ihm los ist, »Kinder
sind überall gleich, nicht wahr – Kinder wissen noch von nichts ...« Und während
ich noch darüber nachdenke und einen Blick auf ihn werfe, dreht er sich zu mir
um: »Jetzt mal los, Mann – was stehen wir hier rum?« und dreht den Kopf um und
schaut den ganzen Rest der Reise angespannt aus dem Fenster.
Josefs Frau
Es
war im
Jahr 1919, und der Holunder stand schon in Blüte, als der Unteroffizier Josef
Thiedemann heimkehrte. Nur seine Frau war bei ihm. Sie selber hatte ihn
abgeholt – nicht einmal den Kutscher hatte sie mitgenommen.
Den
ganzen Tag saßen die beiden schweigend nebeneinander. Die glänzenden braunen
Pferderücken vor ihnen schaukelten leicht hin und her. Sie kamen in die
Dorfstraße und fuhren sie langsam entlang. In der Abendsonne standen Leute vor
ihren Häusern, und gelegentlich legte eine Frau ihrem Mann die Hand auf den
Arm. Aber Thiedemann erkannte niemanden – nicht einmal seine Frau oder seine
Pferde.
Er
war im Juli 1918 von einem Granatwerfer verschüttet worden, als er mit ein paar
Kameraden in einem Unterstand saß. Es war nur der reinste Zufall – ein Stück
der zerborstenen Holzverschalung des Unterstands, das sich quer über ihn schob
–, der ihn davor rettete, zerquetscht zu werden. Es dauerte ein paar Stunden,
bis man ihn erreichte, und jeder glaubte, daß er schon erstickt sein müsse;
aber zwei der zersplitterten Balken hatten sich so verkeilt, daß ein schmaler
Spalt dazwischen blieb, durch den er noch ein bißchen Luft bekommen konnte.
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