E.M. Remarque
verschlossen hatte, ergriff sie ein
Sportgewehr, das an der Wand hing, und blieb damit stehen, bis er sich blöd grinsend
davongemacht hatte. Auch andere versuchten es, aber keiner hatte Erfolg. Die
Frau war fünfunddreißig und von einer dunklen, würdevollen Schönheit. Sie
arbeitete hart, aber sie blieb allein.
In
den ersten Monaten kamen öfters Ärzte auf den Hof. Thiedemann versteckte sich
vor ihnen und mußte jedesmal gesucht werden. Nur wenn seine Frau rief, war er
bereit zu kommen. Ein Arzt blieb fast ein ganzes Jahr auf dem Hof, um ihn zu
behandeln. Als er abreiste, mußte die Frau einige Stück Vieh verkaufen. In diesem
Jahr wurde die Ernte durch Sommerregen geschädigt, und die Kartoffeln hatten
auch gelitten. Es war ein schwieriges Jahr.
Aber
Thiedemanns Zustand änderte sich nicht. Die Frau nahm das ärztliche Urteil
ungerührt hin, als wäre es ihr völlig gleichgültig. Aber nachts, wenn
Thiedemann im Schlaf unverständliche Worte murmelte und sich im Bett hin und
her warf, drückte sie sich gegen ihn, als müsse die Wärme ihres Körpers ihm
helfen – und sie horchte auf ihn und stellte Fragen und sprach ihn an. Er
antwortete nicht, wurde aber ruhiger und schlief dann bald ein. So vergingen
die Jahre.
Einmal kam ein Kamerad
von Thiedemann für ein paar Tage zu Besuch. Er hatte ein paar Fotos aus jenen
Zeiten mitgebracht, und am letzten Abend zeigte er sie der Frau. Darunter war
ein Gruppenbild von Thiedemanns Zug. Darauf hockten die Männer mit nacktem
Oberkörper vor einem Unterstand und grinsten, während sie ihre Hemden nach
Läusen absuchten. Thiedemann war der zweite von rechts und lächelte, er hielt
eine Hand hoch, Daumen und Zeigefinger fest zusammengepreßt. Die Frau sah sich
die Bilder eines nach dem anderen an. Während sie so darin vertieft war, kam
Thiedemann ins Zimmer. Mit schwerem Schritt ging er zum Ofen hinüber und setzte
sich auf einen Stuhl. Die Frau nahm das Gruppenbild und hielt es eine ganze
Zeit in der Hand. Ihre Augen schweiften von dem verblaßten Schnappschuß zu der
apathischen Gestalt am Ofen. »Da war es also?« fragte sie. Der Freund nickte.
Die Frau schwieg eine Weile. Nur Thiedemanns schweres Atmen war in der Stille
zu hören. Eine Motte flog zum Fenster herein und flatterte um die Lampe. Der
zitternde Schatten ihrer Flügel flackerte über den Tisch und auf die Fotos und
verlieh ihnen eine Illusion von Bewegung und Leben. Die Frau zeigte auf die
Bilder von den Gräben und zerstörten Dörfern. »Ist das noch immer so?«
»Sicher
doch«, sagte der Kamerad. Mit einer schnellen Bewegung bot sie ihm einen
Bleistift und strich eine Zuckertüte glatt, die in Reichweite auf der
Fensterbank lag. »Schreiben Sie den Namen des Ortes auf. Und den Weg.« Der
Freund hob den Kopf. »Wollen Sie hinfahren?«
Die
Frau
betrachtete das Bild, auf dem Thiedemann, noch lächelnd und gesund, vor dem
Unterstand saß. Dann schaute sie ruhig auf. »Ja«, antwortete sie.
»Wir
würden alle gern einmal wieder hinfahren«, sagte der Freund bedächtig, während
er langsam die Buchstaben schrieb. »Sie müssen über Metz fahren.«
Es
dauerte lange, bis alles vorbereitet war. Die Leute verstanden nicht, warum sie
fahren wollte, und versuchten, es ihr auszureden. Aber sie beachtete keinen
Einwand. Sie saß ruhig da und packte entschlossen zusammen, was für die Reise
notwendig war. Als die Leute sie ausfragten, antwortete sie knapp. Sie sagte
einfach: »Es muß sein.«
Die
Reise war schwierig. Von der Fahrt bekam Thiedemann Kopfschmerzen, und die Frau
hatte niemanden bei sich, der ihr geholfen hätte. Auch verstand sie die Sprache
nicht. Aber sie stand bloß da und schaute die Leute an, bis sie verstanden, was
sie meinte.
Am
Nachmittag des dritten Tages kamen sie in dem Ort an, wo Thiedemanns
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