E.M. Remarque
einer Weile erhob
sich der weiße Stoff auf der anderen Seite, und ein Helm erschien. Wir
schwenkten unser Hemd heftiger, bis die Läuse herausgeregnet sein mußten. Ein
Arm wurde hochgestreckt, der ein Paket hielt. Und dann kletterte ein Mann
langsam durch den Stacheldraht heraus; auf Händen und Knien kroch er auf uns
zu, und dabei winkte er von Zeit zu Zeit mit einem Taschentuch und lachte
aufgeregt. Etwa in der Mitte des Niemandslandes hielt er inne und setzte sein
Paket ab. Er zeigte mehrmals darauf, lachte, nickte und kroch zurück. Das
versetzte uns in ungewöhnliche Aufregung. Verbunden mit dem fast jungenhaften
Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, dem Gefühl, jemandem ein Schnippchen zu
schlagen, und einfach der nackten Begierde, an die guten Sachen heranzukommen,
die da vor uns lagen, war ein Hauch von Freiheit, von Unabhängigkeit, von
Triumph über den ganzen Mechanismus des Todes. Dasselbe Gefühl hatte ich, als
ich mitten unter den Gefangenen stand, als sei etwas Menschliches siegreich in
die bloße Vorstellung vom »Feind« eingebrochen, und ich wollte meinen Teil zu
dem Triumph beitragen.
Hastig
suchten wir ein paar Geschenke zusammen, wirklich armselige Dinge, denn wir
hatten viel weniger zu verschenken als die Kameraden da drüben. Dann gaben wir
wieder unsere Signale mit dem Hemd und bekamen direkt Antwort. Langsam hievte
ich mich hoch; Kopf und Schultern standen im Freien. Das war eine verdammt
schreckliche Minute, kann ich dir sagen, da so ungeschützt zu stehen, im Freien
über der Brustwehr. Dann kroch ich geradewegs vor; und jetzt änderten sich
meine Gedanken vollkommen, als wären sie plötzlich in den Rückwärtsgang
geschaltet worden. Die merkwürdige Situation nahm mich gefangen; ich spürte,
wie eine starke, überschäumende Freude in mir aufstieg; glücklich und lachend
lief ich flink auf allen vieren. Und ich erlebte einen wunderbaren Augenblick
des Friedens – eines einzelnen, privaten Friedens, eines Friedens auf der
ganzen Welt mir zuliebe.
Ich
stellte meine Sachen ab, hob die anderen auf und kroch zurück. Und in diesem
Augenblick brach der Friede zusammen. Ich spürte wieder, wie Hunderte von
Gewehrläufen auf meinen Rücken gerichtet waren. Mich packte furchtbare Angst,
und der Schweiß lief mir in Strömen herunter. Aber ich erreichte den Graben
unverletzt und legte mich außer Atem hin.
Am
nächsten Tag hatte
ich mich schon ziemlich an die Sache gewöhnt; und allmählich vereinfachten wir
es, so daß wir nicht mehr nacheinander hinausgingen, sondern beide gleichzeitig
aus unseren Gräben kletterten. Wie zwei von der Leine gelassene Hunde krochen
wir aufeinander zu und tauschten unsere Geschenke aus. Als wir uns das erste
Mal ins Gesicht sahen, lächelten wir uns nur verlegen an. Der andere Kamerad
war ein junger Kerl wie ich, vielleicht zwanzig Jahre alt. Man konnte seinem
Gesicht ansehen, wie gut er diesen Spaß fand. »Bonjour, camerade«, sagte er;
aber ich war so verblüfft, daß ich »Bonjour, bonjour« sagte, es zwei-, dreimal
wiederholte und nickte und mich hastig umdrehte. Wir hatten einen bestimmten
Zeitpunkt für das Treffen, und das frühere Zeichengeben wurde fallengelassen,
weil beide Seiten den ungeschriebenen Friedensvertrag einhielten. Und eine
Stunde später feuerten wir dann wieder wie vorher aufeinander los. Einmal
reichte mir der andere Kamerad mit leichtem Zögern die Hand hin, und wir
schüttelten uns die Hände. Das war schon komisch. Damals hatten sich auch an
anderen Frontabschnitten ähnliche Vorfälle ereignet. Das Oberkommando hatte
davon Wind bekommen, und es war bereits Befehl ergangen, daß dergleichen
absolut verboten sei; in
Weitere Kostenlose Bücher