E.M. Remarque
Bergkette, dieselben Wälder, dieselben Felder und Wiesen wie
zuvor, es ist noch immer dieselbe Landschaft wie vor einer Stunde; da geht die
Straße, weiß und endlos weit, hindurch, und das goldene Licht des Spätherbstes
ergießt sich noch immer über die Erde wie süßer Wein – und doch ist,
unsichtbar, unhörbar, etwas aus der Ferne hereingekommen; gewaltig, feierlich
und mächtig steht es plötzlich da und überschattet alles. Es sind nicht jene
Kreuze am Straßenrand, die alle Augenblicke auftauchen, dünn und dunkel. Schief
und sehr müde ragen sie da aus dem Rasen, verwüstet vom vielen Wind, erschöpft
von ziehenden Wolken, die Kreuze des Krieges von 1870. Schlanke junge Bäume,
die man damals dazwischen gepflanzt hat, sind längst zu Bäumen mit mächtigen
Ästen voll zwitschernder Vögel herangewachsen. Diese alten Schützengräben sind
nicht mehr erschreckend, sie erinnern kaum noch an den Tod – wie eine
Parklandschaft sind sie schon, malerisch und lieblich, gute Erde und gutes
Land. Es ist nicht der Charakter dieser schönen, schrecklichen Gegend, die immer
Schlachtfeld gewesen ist und wo der Krieg jahrhundertelang seinen Abfall
abgeladen hat, wie die verschiedenen Schichten im Felsen, Ablagerung über
Ablagerung, Schicht auf Schicht, Krieg auf Krieg, sogar noch heute genau
erkennbar, von den Kämpfen der französischen Könige bis zu den Gräben von Mars
la Tour und den Massengräbern von Douaumont. Es ist auch nicht die
geheimnisvolle, zwiespältige Stimmung dieses Bodens, wo die weichen blauen
Linien am Horizont nicht einfach Hügel und Waldland sind, sondern versteckte
Forts; die glatten Gipfel vor ihnen nicht bloß Hügelketten, sondern starke,
befestigte Höhen; wo idyllische Täler auch als Schützengräben dienen, als Täler
des Todes, Sammelplätze, Aufmarschgelände; und wo die kleinen Hügel betonierte
Geschützstellungen sind, Maschinengewehrnester, durchlöchert von
Munitionslagern und Stollen; denn alles ist hier in Strategie verwandelt
worden. In Strategie und Gräber.
Es
ist das Schweigen. Das entsetzliche Schweigen um Verdun. Das Schweigen nach der
Schlacht. Ein Schweigen ohnegleichen auf der ganzen Welt; denn bisher hat in
allen Kämpfen am Ende die Natur die Oberhand gewonnen; das Leben wuchs wieder
aus der Vernichtung, Städte wurden wieder aufgebaut, Wälder gediehen wieder,
und innerhalb weniger Monate wogte wieder junges Getreide auf den Feldern. Aber
in diesem letzten, schrecklichsten der Kriege hat zum ersten Mal die
Vernichtung den Sieg errungen. Hier standen Dörfer, die nie wieder aufgebaut
wurden; Dörfer, von denen jetzt kein Stein mehr auf dem anderen steht. Der
Boden darunter ist noch so voll von tödlicher Bedrohung, lebendiger
Explosivkraft, voll von Granaten, Minen und Giftgas, daß jeder Hackenschlag,
jeder Spatenstich gefährlich ist. Bäume waren da, die nie wieder ausgeschlagen
haben, weil nicht nur ihre Wipfel und Stämme, sondern auch ihre tiefsten
Wurzeln abgehackt, zerstört und zu Splittern zertrümmert wurden. Felder waren
da, über die nie mehr ein Pflug gezogen wird, weil ihre Saat aus Stahl ist,
Stahl und noch mal Stahl.
In
den Granattrichtern dieses zerlöcherten Landes wächst allerdings tatsächlich
zerzaustes, mattes Wildgras. Auch an ihren Rändern blühen rote Mohnblumen und
Kamille, und sogar ein Strauch kriecht manchmal unordentlich und schüchtern
mitten aus dem Abfall hervor; aber dieser spärliche Bewuchs verstärkt noch den
Eindruck von Schweigen und Trostlosigkeit. Es ist, als ob an diesem Ort ein
Loch im Laufband der Ereignisse sei, als ob die Zeit hier stillstehe; als ob
die Zeit, die nicht nur Vergangenes mit sich führt, sondern auch
Weitere Kostenlose Bücher