E.M. Remarque
Zukünftiges,
hier aus Mitgefühl ihren Motor abstelle. Nirgends auf der Welt gibt es ein
solches Land; eine Wüste ist lebendiger, denn ihr Schweigen ist organisch.
Nirgends
auf der Welt gibt es ein solches Schweigen, denn dieses Schweigen ist ein
gewaltiger versteinerter Schrei. Nicht die Ruhe des Friedhofs liegt darin; denn
zwischen den vielen müden, erschöpften Leben ruht wenig, das begeistert und
jung war; hier aber wurde für Hunderttausende die große Kraft, die ihnen in den
Augen stand, die Macht, die sie atmen und sehen und sich ducken und kämpfen
ließ, plötzlich zu Atomen zerschmettert; hier in der Verkrampfung
angespanntester Selbstverteidigung begehrte, ja liebkoste man das Leben, man
glaubte leidenschaftlicher, wilder, glühender, versessener denn je daran; und
über diesen verzweifelten, angestrengten Willen, diesen brodelnden Wirbel von
Aktivität, Qual, Hoffnung, Angst, Lebensgier, brach der Hagel von Splittern und
Kugeln herein. Dann vergoß das zäheste, zerbrechlichste Ding, das es gibt, das
Leben, sein Blut, und die große Dunkelheit breitete sich über
achthunderttausend Männer.
Über
diesen Feldern scheinen die verlorenen Jahre weiter zu bestehen, die Jahre, die
nicht gewesen sind, die keine Ruhe finden – der Schrei der Jugend wurde zu früh
erstickt, fand ein zu jähes Ende.
Von
den Höhen kommt ein grauer, bleierner Wind herab und verschmilzt mit dem Glühen
des Herbstes, seinem hellen Feuer und goldenen Licht. Von den Höhen kommt das
Schweigen herab, das die freundlichen Tage schlapp und leblos macht, als ob die
Sonne sich wie an jenem Nachmittag auf Golgatha verfinstert habe. Von den Höhen
kommen Namen und Erinnerungen herab. Vaux, Thiaumont, Belleville, Kalte Erde,
Totenschlucht, Hügel 304, Toter Mann – was für Namen! Vier lange Jahre haben
sie unter dem gigantischen Geheul des Todes gelebt: heute packt einen die
Endlosigkeit ihres Schweigens. Keine Cook’s-Parties, keine angenehmen
Tagesausflüge zu günstigen Preisen mit Besichtigungen tiefer Unterstände bei
romantischem Karbidlicht können das ändern. Dieses Land gehört den Toten. Aber
in dieser Erde, die immer wieder von Granaten jeden Kalibers aufgewühlt wurde,
in diesem Land des erstarrten Grauens, in dieser Kraterlandschaft leben
Menschen. Man sieht sie kaum, so gut haben sie sich im Laufe der Zeit angepaßt,
so wenig unterscheiden sie sich von ihrer Umgebung. Ihre Kleidung ist gelb und
grau und schmutzig von ihren Opfern. Manchmal sind es Hunderte, manchmal mögen
sie wohl Tausende zählen, aber sie arbeiten einzeln und sind so verstreut, daß
es immer nur wenige zu sein scheinen – fleißige kleine Ameisen in hohlen
Trichtern. Sie leben ein Leben für sich, bleiben oft ganze Monate in ihren
dunklen Barackenlagern und kommen selten in die Dörfer. Es sind Sucher. Die
Schlachtfelder sind zu Spekulationsobjekten geworden. Ein Unternehmer hat von
der Regierung eine Genehmigung bekommen, alles wertvolle Metall zu sammeln.
Dafür stellt er die Sucher an. Sie jagen nach allem, was Metallwert hat, alte
Gewehre, Blindgänger, Bomben, Eisenbahnschienen, Drahtrollen, Spaten – für sie
sind diese Felder der Erinnerung, der Stille und Trauer Eisen-, Stahl- und
Kupferminen. Kupfer haben sie am liebsten. Das bringt den besten Preis.
Die
meisten Sucher sind Russen. In dem Schweigen sind auch sie schweigsam geworden.
Meistens bleiben sie unter sich. Niemand sucht ihre Gesellschaft; obwohl die
Regierung tausend Genehmigungen erteilt hat, hat man doch das Gefühl, das es
nicht recht ist, was sie da tun. Metall im Wert von Millionen von Francs ist da
in der Erde; aber eben auch Tränen, Blut und Angst von Millionen.
Es
ist ein
Weitere Kostenlose Bücher