E.M. Remarque
halten.
Dieser stand über leeren Schachteln und verstaubten Plakaten; es schien zu ihm
zu passen.
In einem unzerstörten Torweg spielten Kinder. Neben ihnen stand eine Frau in
einer roten Bluse und blickte auf die Gefangenen. Ein paar Hunde brachen
plötzlich aus dem Torweg und rannten über die Straße zu den Sträflingen
hinüber. Sie schnupperten an ihren Hosen und Schuhen, und einer wedelte und
sprang an dem Sträfling Nr. 7105 hoch. Der Kapo, der diesen Abschnitt
beaufsichtigte, wußte nicht, was er tun sollte.
Der Hund war ein Zivilhund und kein Mensch; trotzdem schien es ungebührlich,
daß er freundlich zu einem Sträfling war, besonders in Gegenwart der SS. 7105
wußte noch weniger Rat. Er tat das einzige, was ein Gefangener tun konnte; er
stellte sich, als sei das Tier nicht da. Aber der Hund folgte ihm; er hatte
eine rasche Zuneigung zu ihm gefaßt. 7105 bückte sich und arbeitete mit
angestrengtem Eifer. Er war besorgt; der Hund konnte seinen Tod bedeuten. »Weg
da, Lauseköter«, schrie der Kapo endlich und hob einen Knüppel. Er hatte seinen
Entschluß gefaßt; es war immer besser, scharf zu sein, wenn die SS zusah.
Aber der Hund kümmerte sich nicht um ihn; er sprang und tanzte wieder um 7105
herum. Es war ein großer, braunweißer deutscher Vorstehhund.
Der Kapo hob Steine und warf nach ihm. Der erste Stein traf 7105 am Knie; erst
der dritte traf den Hund quer gegen den Bauch. Das Tier heulte auf, sprang
beiseite und bellte den Kapo an. Der Kapo hob den nächsten Brocken. »Scher dich
weg, du Aas!«
Der Hund wich aus, aber er lief nicht weg. Geschickt machte er einen Bogen und
sprang den Kapo an. Der Mann stürzte über einen Haufen Mörtel, und der Hund
stand sofort knurrend über ihm. »Hilfe!« schrie der Kapo und verhielt sich
still. Die SS-Leute in der Nähe lachten.
Die Frau in der roten Bluse kam herangelaufen. Sie pfiff dem Hund. »Hierher!
Sofort hierher! O dieser Hund! Bringt einen noch ins Unglück!«
Sie zerrte ihn hinweg, in den Torbogen hinein. »Er ist 'rausgelaufen«, sagte
sie ängstlich zu dem nächsten SS-Mann. »Bitte! Ich habe es nicht gesehen! Er
ist weggelaufen! Er wird Prügel dafür kriegen!«
Der SS-Mann grinste. »Dem da hätte er ruhig ein Stück von seiner dämlichen
Fresse wegbeißen können.«
Die Frau lächelte schwach. Sie hatte geglaubt, der Kapo gehöre zur SS. »Danke!
Danke vielmals! Ich werde ihn gleich anbinden!« Sie zog den Hund am Halsband
fort, aber streichelte ihn plötzlich. Der Kapo klopfte sich den Kalkstaub ab.
Die SS-Wachen grinsten immer noch.
»Warum hast du ihn nicht gebissen?« rief einer dem Kapo zu. Der Kapo antwortete
nicht. Das war immer besser. Er klopfte noch eine Zeitlang an sich herum. Dann
stapfte er ärgerlich zu den Häftlingen hinüber. 7105 bemühte sich gerade, ein
Klosett aus dem Haufen von Steinen und Mörtel hervorzuziehen. »Los, fauler
Hund!« zischte der Kapo und gab ihm einen Tritt in die Kniekehle. 7105 fiel
nieder und hielt sich mit den Armen am Klosettdeckel fest. Alle Häftlinge
beobachteten den Kapo aus den Augenwinkeln. Der SS-Mann, der mit der Frau
gesprochen hatte, schlenderte jetzt heran. Er ging auf den Kapo zu und stieß
ihn von hinten mit dem Stiefel an. »Laß den da in Ruhe! Der ist nicht schuld.
Beiß lieber den Hund, du Nachteule!«
Der Kapo drehte sich überrascht um. Die Wut schwand aus seinem Gesicht und wich
einer dienstfertigen Grimasse. »Jawohl! Ich wollte nur ...«
»Los!« Er bekam einen zweiten Stoß in den Bauch, stand halbwegs stramm und
trollte sich. Der SS-Mann schlenderte zurück.
»Hast du das gesehen?« flüsterte Lewinsky Werner zu. »Zeichen und Wunder.
Vielleicht hat er es wegen der Zivilisten gemacht.« Die Häftlinge beobachteten
verstohlen weiter die andere Seite der Straße, und die andere Seite der
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