E.M. Remarque
ihren Stellungen – und das machte sie schauerlich unzüchtig. Kaputt, dachte
Neubauer. Kaputt.
Verloren. Was würde Selma jetzt sagen? Es gab keine Gerechtigkeit. Er ging
zurück und watete durch Trümmer und Glas um das Haus herum. Als er die Ecke
erreichte, sah er auf der anderen Seite eine Figur, die, als sie ihn hörte,
sich duckte und weglief.
»Halt!« schrie Neubauer. »Stehenbleiben! Oder ich schieße!«
Die Figur blieb stehen. Es war ein kleiner zerdrückter Mann.
»Herkommen!«
Der Mann schlich heran. Neubauer erkannte ihn erst, als er dicht vor ihm
stehenblieb.
Es war der frühere Besitzer des Geschäftshauses.
»Blank«, sagte er erstaunt. »Sind Sie das?«
»Jawohl, Herr Obersturmbannführer.«
»Was machen Sie denn hier?«
»Verzeihen, Herr Obersturmbannführer. Ich – ich ...«
»Reden Sie vernünftig, Mann! Was machen Sie hier?«
Neubauer hatte mit der Wirkung seiner Uniform seine Autorität und sich selbst
rasch wiedergefunden.
»Ich – ich ...« , stotterte Blank. »Ich bin nur einmal hergekommen, um – um ...«
»Was, um, um?«
Blank machte eine hilflose Bewegung nach dem Trümmerhaufen hin.
»Um sich darüber zu freuen, was?«
Blank sprang fast zurück. »Nein, nein, Herr Obersturmbannführer. Nein, nein!
Nur – es ist schade«, flüsterte er. »Schade.«
»Natürlich ist es schade. Jetzt können Sie ja lachen.«
»Ich lache nicht! Ich lache nicht, Herr Obersturmbannführer.«
Neubauer musterte ihn. Blank stand ängstlich vor ihm, die Arme eng an den
Körper gepreßt.
»Sie sind besser weggekommen als ich«, sagte Neubauer nach einer Weile bitter.
»Gut bezahlt worden. Oder nicht?«
»Jawohl, sehr gut, Herr Obersturmbannführer.«
»Sie haben bares Geld gekriegt. Ich einen Trümmerhaufen.«
»Jawohl, Herr Obersturmbannführer! Bedaure – bedaure außerordentlich. Dieses
Ereignis ...«
Neubauer starrte vor sich hin. Er war jetzt tatsächlich der Ansicht, daß Blank
ein glänzendes Geschäft gemacht hatte.
Einen Augenblick überlegte er, ob er ihm den Trümmerhaufen nicht für teures
Geld zurückverkaufen könne. Aber das war gegen die Parteigrundsätze. Und
außerdem war selbst der Schutt mehr wert, als er Blank seinerzeit gezahlt
hatte. Nicht zu reden von dem Grundstück. Fünftausend hatte er gezahlt.
Die Jahresmieten allein waren fünfzehntausend gewesen.
Fünfzehntausend Mark!
Verloren!
»Was haben Sie denn? Was fummeln Sie mit Ihren Armen herum?«
»Nichts, Herr Obersturmbannführer. Ich bin gefallen, vor Jahren ...« Blank
schwitzte. Dicke Tropfen liefen ihm von der Stirn in die Augen. Er blinkte mehr
mit dem rechten Auge als mit dem linken. Im linken, das aus Glas war, spürte er
den Schweiß nicht so. Er hatte Angst, daß Neubauer sein Zittern als freches
Zittern auffassen könne. So etwas war schon vorgekommen. Aber Neubauer dachte
im Augenblick an nichts dergleichen; nicht daran, daß Weber Blank damals vor
dem Verkauf im Lager verhört hatte. Er betrachtete nur den Trümmerhaufen.
»Sie haben es besser getroffen als ich«, sagte er. »Haben das vielleicht
seinerzeit nicht so geglaubt. Aber jetzt hätten Sie alles verloren gehabt. So
haben Sie Ihr gutes Geld.«
Blank wagte nicht, sich den Schweiß abzuwischen. »Jawohl, Herr
Obersturmbannführer«, murmelte er.
Neubauer blickte ihn plötzlich prüfend an. Ein Gedanke hatte ihn durchzuckt. Es
war ein Gedanke, der immer öfter gekommen war in den letzten Wochen. Er hatte
ihn das erste Mal gespürt, als die Mellener Zeitung zerstört worden war; er
hatte ihn verscheucht, aber er war stets wieder erschienen wie eine lästige
Fliege. Konnte es tatsächlich sein, daß die Blanks mal wieder herankamen? Der
Kerl vor ihm sah nicht so aus; er war eine Ruine. Aber die
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