E.M. Remarque
ein
hellblauer Stoff, in den fliegende Vögel gedruckt waren. Er stieß mit den
Stiefeln dagegen. Verdammt! Wozu schon! Er schleppte den Ballen zurück und warf
ihn in die Flammen. Sollte alles zum Teufel gehen! Verdammt! Er stapfte davon.
Er wollte nichts mehr davon sehen! Gott war nicht mehr mit den Deutschen. Wotan
auch nicht. Wer eigentlich?
Hinter einem Schutthaufen, der Straße gegenüber, hob sich langsam ein bleiches
Gesicht. Josef Blank sah Neubauer nach.
Und zum ersten Male seit vielen Jahren lächelte er. Er lächelte, während er die
Zigarre zwischen den lahmen Fingern zerbrach.
XVI
A uf dem Hof des
Krematoriums standen wieder acht Leute.
Alle trugen das rote Abzeichen der politischen Häftlinge. Berger kannte keinen
von ihnen; aber er kannte jetzt ihr Schicksal.
Der Kapo Dreyer war bereits an seinem Platz im Keller.
Berger fühlte, daß etwas in ihm zusammensank, das immer noch geheim auf
Aufschub gerechnet hatte. Dreyer war drei Tage nicht dagewesen. Das hatte
Berger verhindert, auszuführen, was er sich vorgenommen hatte. Heute gab es
keine Ausflucht mehr; er mußte es riskieren.
»Fang gleich hier an«, sagte Dreyer mürrisch. »Wir werden sonst kaum fertig.
Die krepieren ja neuerdings wie die Fliegen bei euch.« Die ersten Toten kamen
heruntergepoltert. Drei Häftlinge zogen sie aus und sortierten ihre Sachen.
Berger kontrollierte die Zähne; dann packten die drei die Toten in den Aufzug.
Eine halbe Stunde später kam Schulte. Er sah frisch und ausgeschlafen aus, aber
er gähnte fortwährend. Dreyer schrieb, und Schulte sah ihm ab und zu über die
Schulter.
Der Keller war groß und gelüftet, aber der Geruch der Toten wurde bald sehr
stark.
Er hing auch in den Kleidern; nicht nur an den nackten Körpern. Die Lawine der
Leichen hörte nicht auf; sie schien die Zeit unter sich zu verschütten, und
Berger wußte fast nicht mehr, ob es schon Abend war oder erst Mittag, als
Schulte endlich aufstand und erklärte, zum Essen zu gehen.
Dreyer legte seine Sachen zusammen. »Um wieviel sind wir dem Verbrennungsraum
voraus?«
»Um zweiundzwanzig.«
»Gut. Mittagspause. Sagt denen oben, sie sollen aufhören, herunterzuwerfen, bis
ich zurückkomme.«
Die drei anderen Häftlinge gingen sofort hinaus. Berger legte noch einen Toten
zurecht.
»Los! Schieb ab!« knurrte Dreyer. Der Pickel auf seiner Oberlippe hatte sich in
einen schmerzhaften Furunkel verwandelt.
Berger richtete sich auf. »Wir haben vergessen, diesen hier einzuschreiben.«
»Was?«
»Wir haben vergessen, diesen Toten hier als Abgang aufzuführen.«
»Blödsinn! Wir haben alle notiert.«
»Das ist nicht richtig.« Berger hielt seine Stimme so ruhig, wie er konnte.
»Wir haben einen Mann zuwenig aufgeschrieben.«
»Mensch!« explodierte Dreyer. »Bist du verrückt geworden? Was soll das
Gequatsche?«
»Wir müssen einen Mann mehr auf die Liste setzen.«
»So?« Dreyer sah Berger jetzt scharf an. »Und warum müssen wir das?«
»Damit die Liste stimmt.«
»Kümmere dich nicht um meine Listen.«
»Um die anderen kümmere ich mich nicht. Nur um diese eine.«
»Die anderen? Was für andere gibt es denn, du Gerippe?«
»Die Goldlisten.«
Dreyer schwieg einen Augenblick. »So, und was soll das Ganze nun wirklich
heißen?« fragte er dann.
Berger holte Atem. »Das soll heißen, daß es mir egal ist, ob die Goldlisten
stimmen oder nicht.«
Dreyer machte eine Bewegung, bezwang sich aber. »Sie stimmen«, sagte er
drohend.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Man braucht sie ja nur zu vergleichen.«
»Vergleichen? Womit?«
»Mit meinen eigenen Listen. Ich führe sie, seit ich hier arbeite. Zur
Vorsicht.«
»Sieh mal an! Führt auch eine Liste, der Schleicher. Und du denkst, daß man dir
mehr glauben würde als mir?«
»Ich
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