E.M. Remarque
halte das für möglich. Ich habe keine Vorteile von meiner Liste.«
Dreyer musterte Berger von oben bis unten, als sähe er ihn zum ersten Male.
»So, das hast du nicht? Das glaube ich auch nicht. Und um mir das zu sagen,
hast du gerade den richtigen Moment abgewartet, hier im Keller, was? Allein mit
mir – das war dein Fehler, du Eierkopf!« Er grinste. Der Furunkel schmerzte.
Das Grinsen sah aus, als blecke ein ärgerlicher Hund die Zähne. »Willst du mir
mal erzählen, was mich jetzt davon abhalten kann, dir deinen Eierkopf ein
bißchen einzuschlagen und dich hier zu den anderen zu legen? Oder dir die
Luftröhre einzuklemmen? Du bist dann selber der, der dir in deiner Liste noch
fehlt. Erklärungen gibt es da nicht. Wir sind ja allein. Bist eben einfach
umgefallen. Herzschwäche. Einer mehr spielt hier keine Rolle. Das wird nicht
untersucht. Ich verbuche dich schon.«
Er kam näher. Er war über sechzig Pfund schwerer als Berger.
Berger hatte, selbst mit der Zange in der Hand, nicht die geringste Chance. Er
trat einen Schritt zurück und stolperte über den Toten, der hinter ihm lag.
Dreyer griff nach seinem Arm und drehte ihm das Handgelenk um. Berger ließ die
Zange fallen. »So, das ist besser«, erklärte Dreyer.
Er zog ihn mit einem Ruck näher an sich heran. Sein verzerrtes Gesicht war
dicht vor Bergers Augen. Es war rot, und der Furunkel glänzte auf der Lippe mit
blauen Rändern. Berger sagte nichts; er bog nur den Kopf so weit zurück wie
möglich und straffte das, was ihm an Halsmuskeln geblieben war.
Er sah, wie die rechte Hand Dreyers hochkam. Sein Gehirn klärte sich. Er wußte,
was er tun mußte. Es war wenig Zeit; aber zum Glück schien die Hand so langsam
hochzukommen wie in einer Zeitlupenaufnahme. »Dieser Fall hier ist
mitberechnet«, sagte er rasch. »Er ist aufgeschrieben und von Zeugen
unterzeichnet.«
Die Hand stoppte nicht. Sie kam langsam, aber sie kam weiter hoch. »Schwindel«,
knurrte Dreyer. »Willst dich 'rausreden. Du redest nicht mehr lange.«
»Es ist kein Schwindel. Wir haben damit gerechnet, daß Sie versuchen würden,
mich zu beseitigen.« Berger starrte in die Augen Dreyers. »Es ist das erste,
was Dummköpfen immer einfällt. Es ist zu Papier gebracht und wird mit der Liste
über zwei Goldringe und die Goldbrille, die fehlen, dem Lagerführer zugeteilt,
wenn ich abends nicht zurück bin.«
Die Augen Dreyers blinkten. »So?« sagte er.
»Genauso. Glauben Sie, ich wußte nicht, was ich riskiere?«
»So, das wußtest du?«
»Ja. Es ist alles aufgeschrieben. An die goldene Brille, die fehlt, werden sich
Weber, Schulte und Steinbrenner noch genau erinnern. Sie gehörte einem
Einäugigen. Das vergißt man nicht so schnell.«
Die Hand kam nicht weiter. Sie stand still und fiel dann hinab.
»Es war kein Gold«, sagte Dreyer. »Du hast es selbst gesagt.«
»Es war Gold.«
»Sie war wertlos. Schund. Zum Wegschmeißen nicht gut genug.«
»Das können Sie alles dann ja selbst erklären. Wir haben Zeugnisse von den
Freunden des Mannes, dem sie gehörte. Es war reines Weißgold.«
»Lausehund!«
Dreyer stieß Berger zurück. Berger fiel wieder. Er versuchte sich festzuhalten
und fühlte die Zähne und die Augen eines Toten unter seiner Hand. Er fiel über
ihn, aber er ließ Dreyer nicht aus den Augen.
Dreyer atmete heftig. »So – und was meinst du, was wird dann passieren mit
deinen Freunden? Meinst du, sie werden belohnt? Als Mitwisser dafür, daß du
versucht hast, einen Toten hier dazuzuschwindeln?«
»Sie sind keine Mitwisser.«
»Und wer glaubt das?«
»Wer glaubt Ihnen, wenn Sie es erklären? Man wird nur glauben, daß Sie es
erfunden haben, um mich beiseite zu schaffen wegen der Ringe und der Brille.«
Berger war wieder aufgestanden. Er fühlte, wie er plötzlich zu zittern begann.
Er beugte sich nieder und
Weitere Kostenlose Bücher