E.M. Remarque
sollen sie sich denken? Gott weiß, wieviel sie überhaupt von uns wissen.
Sie sehen selber nicht glücklich aus.«
»Jetzt nicht«, sagte 7105.
Niemand antwortete. Sie begannen den schweren Aufstieg zum Lager. »Ich wollte,
ich hätte den Hund«, sagte 7105.
»Es wäre ein guter Braten«, erwiderte Münzer. »Sicher dreißig Pfund netto.«
»Ich meine nicht zum Essen. Einfach so.«
Der Wagen kam nicht mehr durch. Die Straßen waren überall verschüttet.
»Fahr zurück, Alfred«, sagte Neubauer. »Warte bei meinem Hause auf mich.«
Er stieg aus und versuchte, zu Fuß weiterzukommen. Er kletterte über eine
zusammengestürzte Wand, die quer über die Straße gefallen war. Der Rest des
Hauses stand noch. Die Wand war abgerissen worden wie ein Vorhang, und man sah
in die Wohnungen.
Die Treppen wanden sich nackt empor. Im ersten Stock war ein
Mahagonischlafzimmer vollständig erhalten. Die beiden Betten standen
nebeneinander; nur ein Stuhl war umgefallen, und der Spiegel war zerbrochen. Im
Stock darüber war die Wasserleitung in der Küche abgerissen worden. Das Wasser
floß über den Fußboden und von da in Kaskaden ins Freie; ein glitzernder,
dünner Wasserfall. Im Salon stand ein rotes Plüschsofa aufrecht. Bilder in
Goldrahmen hingen schief auf einer gestreiften Tapete. Ein Mann stand da, wo
die Vorderwand weggerissen war. Er blutete und starrte regungslos nach unten.
Hinter ihm rannte eine Frau mit Koffern hin und her, in die sie Nippsachen,
Sofakissen und Wäsche zu stopfen versuchte.
Neubauer fühlte, daß sich unter seinem Fuß die Trümmer bewegten. Er trat
zurück. Die Trümmer bewegten sich weiter. Er beugte sich nieder und riß Steine
und Mörtel weg. Eine verstaubte Hand und ein Stück Arm kamen grau hervor wie
eine müde Schlange. »Hilfe!« schrie Neubauer. »Hier ist noch jemand! Hilfe!«
Niemand hörte ihn. Er sah sich um. Es waren keine Menschen auf der Straße.
»Hilfe!« schrie er zu dem Mann im zweiten Stock empor. Der Mann wischte sich
langsam das Blut vom Gesicht und reagierte nicht.
Neubauer schob einen Klumpen Mörtel beiseite. Er sah Haar und griff hinein, um
es hochzuziehen. Es gab nicht nach.
»Alfred!« schrie er und blickte sich um. Der Wagen war nicht mehr da.
»Schweine«, sagte er, plötzlich sinnlos wütend. »Wenn man sie braucht, sind sie
nicht da.«
Er arbeitete weiter. Schweiß lief ihm in den Uniformkragen. Er war keine
Anstrengung mehr gewohnt. Polizei, dachte er. Rettungskolonnen! Wo sind all
diese Gauner?
Ein Stück Mörtel zerbrach und gab nach, und Neubauer sah darunter das, was kurz
vorher noch ein Gesicht gewesen war. Es war jetzt eine flache, grauverschmierte
Masse. Die Nase war eingedrückt. Die Augen waren nicht mehr da, sie waren
ausgefüllt mit Kalkstaub; die Lippen waren verschwunden, und der Mund war eine
Masse von Mörtel und losen Zähnen. Das ganze Gesicht war nur noch ein graues
Oval mit Haaren darüber, durch das etwas Blut sickerte.
Neubauer würgte und begann zu kotzen. Er kotzte ein Mittagessen von Sauerkraut,
harter Mettwurst, Kartoffeln, Reispudding und Kaffee neben den platten Kopf. Er
versuchte, sich irgendwo festzuhalten, aber es war nichts da. Er drehte sich
halb um und kotzte weiter.
»Was ist denn hier los?« fragte jemand hinter ihm.
Ein Mann war herangekommen, ohne daß er es gehört hatte. Er trug eine Schaufel.
Neubauer deutete auf den Kopf in den Trümmern.
»Einer verschüttet?«
Der Kopf bewegte sich etwas. Gleichzeitig bewegte es sich in der grauen Masse
des Gesichtes. Neubauer kotzte wieder. Er hatte viel zu Mittag gegessen.
»Der erstickt ja«, rief der Mann mit der Schaufel und sprang heran. Er rieb mit
den Händen über das Gesicht, um die Nase zu finden und frei zu bekommen, und
bohrte mit den Fingern da, wo der
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