E.M. Remarque
Trümmerhaufen
rundherum waren auch nichts anderes. Sie sahen nicht nach Siegen aus. Besonders
nicht, wenn sie einem selber gehörten. Selma mit ihren Unkenrufen fiel ihm ein.
Die Zeitungsnachrichten dazu! Die Russen waren vor Berlin, daran war nicht zu
drehen. Die Ruhr war eingekreist, das stimmte auch.
»Hören Sie, Blank«, sagte er kordial. »Ich habe Sie doch sehr anständig
behandelt, wie?«
»Überaus! Überaus!«
»Das müssen Sie doch zugeben, was?«
»Unbedingt, Herr Obersturmbannführer. Unbedingt.«
»Menschlich ...«
»Sehr menschlich, Herr Obersturmbannführer. Zutiefst dankbar ...«
»Na ja«, sagte Neubauer. »Vergessen Sie das nicht! Ich habe allerlei für Sie
riskiert. Was machen Sie hier überhaupt? In der Stadt?«
Warum sind Sie nicht längst in einem Lager, hätte er fast gefragt.
»Ich – ich ...«
Blank war naß. Er wußte nicht, worauf das hinaus sollte. Er hatte nur die
Erfahrung, daß Nazis, die freundlich redeten, immer einen besonders grausigen
Spaß in Reserve hatten.
Weber hatte so geredet, bevor er ihm das Auge ausgeschlagen hatte.
Er verfluchte sich, weil er es nicht hatte lassen können, sein Versteck zu
verlassen, um nach seinem alten Geschäft zu sehen.
Neubauer sah seine Verwirrung. Er benutzte die Gelegenheit.
»Daß Sie frei sind, Blank – das wissen Sie doch, wem Sie das zu verdanken
haben, wie?«
»Jawohl – danke –, danke vielmals, Herr Obersturmbannführer.«
Blank hatte es Neubauer nicht zu verdanken. Er wußte das, und Neubauer wußte es
auch. Doch vor dem schwelenden Trümmerhaufen begannen plötzlich alte Begriffe
zu schmelzen.
Nichts war mehr sicher. Man mußte Vorsorgen. Es schien irrsinnig für Neubauer,
aber man wußte tatsächlich nicht, ob man nicht so einen Juden noch eines Tages
brauchen konnte. Er zog eine »Deutsche Wacht« heraus. »Hier, nehmen Sie, Blank.
Gutes Kraut. Das damals war harte Notwendigkeit. Denken Sie immer daran, wie
ich Sie geschützt habe.«
Blank rauchte nicht. Er hatte Jahre gebraucht, nach Webers Experimenten mit
glühenden Zigaretten, beim Geruch von Tabak nicht hysterisch zu werden. Aber er
wagte nicht, abzulehnen. »Danke vielmals. Sehr gütig, Herr Obersturmbannführer.«
Vorsichtig zog er sich zurück, die Zigarre in der lahmen Hand. Neubauer sah
sich um. Niemand hatte ihn mit dem Juden reden sehen. War auch besser. Er
vergaß Blank sofort und fing an zu rechnen. Dann begann er zu schnuppern. Der
Brandgeruch war stärker geworden. Er ging eilig auf die andere Seite. Das
Modegeschäft dort brannte jetzt. Er rannte zurück und schrie: »Blank! Blank!«,
und als er ihn nicht sah: »Feuer! Feuer!«
Niemand kam. Die Stadt brannte an vielen Plätzen, und die Feuerwehr kam längst
nicht mehr durch. Neubauer lief wieder zu den Modeauslagen. Er sprang hinein,
raffte einen Stoffballen auf und schleppte ihn heraus. Beim zweiten Male kam er
schon nicht mehr durch. Ein Spitzenkleid, das er erwischt hatte, flammte in
seiner Hand auf. Das Feuer züngelte über die Stoffe und die Kleider. Er kam
gerade noch hinaus.
Ohnmächtig sah er von der anderen Straßenseite dem Feuer zu. Es ergriff die
Modepuppen, lief über sie hin, fraß die Kleider – und plötzlich schmelzend,
brennend, bekamen sie ein seltsames Leben. Sie wanden und bäumten sich. Arme
hoben sich und bogen sich, es war eine Wachshölle –, dann versank alles, und
das Feuer schlug darüber zusammen wie über Leichen im Krematorium.
Neubauer wich vor der Hitze zurück, bis er auf den Buddha stieß. Ohne
hinzusehen, setzte er sich darauf, fuhr aber gleich wieder hoch. Er hatte
übersehen, daß der Kopfputz des Heiligen eine bronzene Spitze hatte. Wütend
starrte er auf den Ballen zu seinen Füßen, den er gerettet hatte; es war
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