E.M. Remarque
staubte seine Knie ab. Es war nichts abzustauben;
aber er konnte das Zittern in seinen Beinen nicht kontrollieren und wollte
nicht, daß Dreyer es sähe.
Dreyer merkte es nicht. Er faßte mit dem Finger nach dem Furunkel. Berger sah,
daß das Geschwür geplatzt war. Eiter lief heraus. »Machen Sie das nicht«, sagte
er.
»Was? Warum?«
»Rühren Sie den Furunkel nicht an. Leichengift ist tödlich.«
Dreyer starrte Berger an. »Ich habe heute keine Leiche angefaßt.«
»Aber ich. Und Sie haben mich angefaßt. Mein Vorgänger ist an Blutvergiftung
gestorben.«
Dreyer schleuderte seine rechte Hand fort und wischte sie an der Hose ab.
»Verdammt! Was passiert nun? Verfluchte Schweinerei! Ich habe schon angefaßt.«
Er blickte auf seine Finger, als hätte er Lepra. »Los! Mach was!« schrie er
Berger zu. »Glaubst du, ich will verrecken?«
»Sicher nicht.« Berger hatte sich gefaßt. Die Ablenkung Dreyers hatte ihm Zeit
gegeben.
»Besonders jetzt nicht, so kurz vor dem Ende«, fügte er hinzu.
»Was?«
»So kurz vor dem Ende«, wiederholte Berger.
»Was, Ende? Mach was, du Hund! Tu was drauf!«
Dreyer war blaß geworden. Berger holte eine Flasche Jod, die auf einem Brett;
stand. Er wußte, daß Dreyer nicht in Gefahr war; es war ihm auch gleichgültig.
Die Hauptsache war, daß er ihn abgelenkt hatte. Er strich eine Dosis Jod über
den Furunkel.
Dreyer zuckte zurück. Berger stellte die Flasche fort. »So – jetzt ist es
desinfiziert.«
Dreyer versuchte den Furunkel zu sehen. Er schielte an seiner Nase entlang.
»Bestimmt?«
»Bestimmt.«
Dreyer schielte noch einen Augenblick. Dann bewegte er die Oberlippe wie ein
Kaninchen. »So, und was wolltest du eigentlich?« fragte er.
Berger merkte, daß er gewonnen hatte. »Das, was ich gesagt habe. Die
Personalien eines Toten austauschen. Das ist alles.«
»Und Schulte?«
»Er hat nicht aufgepaßt. Nicht auf die Namen. Außerdem war er zweimal draußen.«
Dreyer dachte nach. »Und die Kleider? Wie ist das?«
»Sie werden stimmen. Auch die Nummern.«
»Wieso? Hast du ...«
»Ja«, sagte Berger. »Ich habe die bei mir, die wir austauschen wollen.«
Dreyer sah ihn an. »Ganz gut geplant habt ihr das. Oder warst du das allein?«
»Nein.«
Dreyer steckte die Hände in die Taschen und ging einige Male hin und her. Dann
blieb er vor Berger stehen. »Und wer bürgt mir dafür, daß deine sogenannte
Liste nicht doch auftaucht?«
»Ich.«
Dreyer zuckte die Achseln und spuckte aus.
»Bisher war nur die Liste da«, sagte Berger ruhig. »Die Liste und die
Anschuldigung. Ich hätte sie benützen können, und mir wäre nichts passiert; ich
wäre höchstens gelobt worden. Hiernach« – er wies auf die Papiere auf dem Tisch
– »bin ich mitschuldig an dem Verschwinden eines Gefangenen.«
Dreyer überlegte. Er bewegte vorsichtig seine Oberlippe und schielte wieder.
»Für Sie ist das Risiko bedeutend geringer«, fuhr Berger fort. »Es kommt nur
eine Verfehlung zu drei, vier anderen hinzu. Das gibt kaum einen Unterschied.
Ich aber belaste mich zum ersten Male. Ich nehme das weit größere Risiko. Das
ist genug Garantie, glaube ich.«
Dreyer antwortete nicht.
»Es ist noch etwas anderes zu überlegen«, sagte Berger, während er ihn weiter
beobachtete. »Der Krieg ist so gut wie verloren. Die deutschen Truppen sind von
Afrika und Stalingrad weit über die Grenzen und über den Rhein zurückgedrängt
worden. Dagegen hilft keine Propaganda und kein Gerede von geheimen Waffen
mehr. In ein paar Wochen oder Monaten ist es zu Ende. Dann kommt auch hier die
Abrechnung. Wofür sollen Sie da für andere mitbüßen? Wenn bekannt wird, daß Sie
uns geholfen haben, sind Sie gesichert.«
»Wer ist das: uns?«
»Wir sind viele. Überall. Nicht nur im Kleinen Lager.«
»Und wenn ich das nun
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