Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
Vom Netzwerk:
drü­ben.«
    Bu­cher blick­te zu dem wei­ßen Haus auf dem Hü­gel jen­seits des La­gers
hin­über. Es stand in der schrä­gen Son­ne zwi­schen den Bäu­men und schi­en
un­ver­sehrt. Die Bäu­me des Gar­tens hat­ten einen hel­len Schim­mer, als sei­en sie
über­flo­gen vom ers­ten Ro­sa und Weiß der Kirsch­blü­ten.
    »Glaubst du es jetzt end­lich?« frag­te er. »Du kannst ih­re Ka­no­nen hö­ren. Sie
kom­men je­de Stun­de nä­her. Wir kom­men her­aus.«
    Er sah wie­der auf das wei­ße Haus. Es war sein Aber­glau­be, daß, so­lan­ge es heil
war, al­les gut wer­den wür­de. Ruth und er wür­den am Le­ben blei­ben und ge­ret­tet
wer­den.
    »Ja.« Ruth hock­te ne­ben dem Sta­chel­draht. »Und wo­hin sol­len wir ge­hen, wenn wir
hin­aus­kom­men?« frag­te sie.
    »Weg von hier. So weit wie mög­lich.«
    »Wo­hin?«
    »Ir­gend­wo­hin. Viel­leicht lebt mein Va­ter noch.«
    Bu­cher glaub­te es nicht; aber er wuß­te nicht ge­nau, ob sein Va­ter tot war. 509
wuß­te es, doch er hat­te es ihm nie ge­sagt.
    »Bei mir lebt nie­mand mehr«, sag­te Ruth. »Ich war da­bei, als man sie ab­hol­te zu
den Gas­kam­mern.«
    »Viel­leicht sind sie nur auf einen Trans­port ge­schickt wor­den. Oder man hat sie
an­ders­wo le­ben las­sen. Dich hat man doch auch le­ben las­sen.«
    »Ja«, er­wi­der­te Ruth. »Mich hat man le­ben las­sen.«
    »Wir hat­ten in Müns­ter ein klei­nes Haus. Viel­leicht steht es noch. Man hat es
uns weg­ge­nom­men. Wenn es noch steht, wer­den wir es viel­leicht wie­der­be­kom­men.
Wir kön­nen dann hin­fah­ren und dort un­ter­kom­men.«
    Ruth Hol­land ant­wor­te­te nicht. Bu­cher blick­te zu ihr hin­über und sah, daß sie
wein­te.
    Er hat­te sie fast nie wei­nen se­hen und glaub­te, es sei, weil sie sich an ih­re
to­ten An­ge­hö­ri­gen er­in­nert hat­te. Tod aber war et­was so All­täg­li­ches im La­ger,
daß es ihm über­trie­ben schi­en, nach so lan­ger Zeit noch so viel Schmerz zu
zei­gen. »Wir dür­fen nicht zu­rück­den­ken, Ruth«, sag­te er mit ei­nem Schat­ten von
Un­ge­duld. »Wie soll­ten wir sonst je­mals wie­der le­ben kön­nen«
    »Ich den­ke nicht zu­rück.«
    »Warum weinst du dann?«
    Ruth Hol­land wisch­te die Trä­nen mit den ge­ball­ten Hän­den aus den Au­gen. »Willst
du wis­sen, wes­halb man mich nicht ver­gast hat?« frag­te sie.
    Bu­cher spür­te un­klar, daß et­was kam, von dem er bes­ser nichts wuß­te. »Du
brauchst es mir nicht zu sa­gen«, er­klär­te er, »Aber du kannst es auch sa­gen,
wenn du willst. Es macht nichts aus.«
    »Es macht et­was aus. Ich war sieb­zehn Jah­re alt. Da­mals war ich nicht so
häß­lich wie heu­te. Des­halb ließ man mich le­ben.«
    »Ja«, sag­te Bu­cher, oh­ne sie zu ver­ste­hen. Sie blick­te ihn an.
    Er sah zum ers­ten Ma­le, daß sie sehr durch­sich­ti­ge, graue Au­gen hat­te. Frü­her
hat­te er es nie so ge­merkt. »Be­greifst du nicht, was das heißt?« frag­te sie.
    »Nein.«
    »Man ließ mich le­ben, weil man Frau­en brauch­te. Jun­ge – für die Sol­da­ten. Für
die Ukrai­ner auch, die mit den Deut­schen zu­sam­men kämpf­ten. Be­greifst du es
nun?«
    Bu­cher saß einen Au­gen­blick wie be­täubt. Ruth be­ob­ach­te­te ihn. »Das ha­ben sie
mit dir ge­tan?« frag­te er schließ­lich. Er sah sie nicht an.
    »Ja. Das ha­ben sie mit mir ge­tan.« Sie wein­te nicht mehr.
    »Es ist nicht wahr.«
    »Es ist wahr.«
    »Ich mei­ne es nicht so. Ich mei­ne, daß du es nicht ge­wollt hast.«
    Sie brach in ein kur­z­es, bit­te­res La­chen aus. »Da ist kein Un­ter­schied.«
    Bu­cher sah sie jetzt an. In ih­rem Ge­sicht schi­en je­der Aus­druck er­lo­schen zu
sein; aber ge­ra­de das mach­te es zu ei­ner sol­chen Mas­ke des Schmer­zes, daß er
plötz­lich fühl­te und nicht nur hör­te, daß sie die Wahr­heit ge­sagt hat­te. Er
fühl­te es, als zer­rei­ße es sei­nen Ma­gen; aber gleich­zei­tig woll­te er es nicht
an­er­ken­nen, noch nicht – er woll­te im Mo­ment nur eins: daß die­ses Ge­sicht vor
ihm sich än­dere.
    »Es ist nicht wahr«, sag­te er. »Du hast es nicht ge­wollt. Du warst nicht da­bei.
Du hast es nicht ge­tan.«
    Ihr Blick kam aus ei­ner Lee­re zu­rück. »Es ist wahr. Und man kann es nicht
ver­ges­sen.«
    »Nie­mand von uns weiß, was er

Weitere Kostenlose Bücher