E.M. Remarque
Jetzt wird sich zeigen, was Klasse ist. Die
faulen, schönen Zeiten sind vorbei. Weißt du das?«
»Jawohl.« Steinbrenner stand stramm.
»Wir haben hier bereits ein Dutzend guter Leute. Mit der Lupe ausgesucht.«
Weber blickte Steinbrenner prüfend an. »Komm heute Abend um halb neun hierher.
Wir werden dann weitersehen.«
Steinbrenner machte begeistert kehrt und marschierte ab.
Weber stand auf und ging um den Tisch herum. Einer mehr, dachte er. Genug
bereits, um dem Alten noch im letzten Augenblick gründlich seine Tour zu
verderben. Er grinste. Er hatte längst gemerkt, daß Neubauer versuchen wollte,
als saubergewaschener Engel dazustehen und alles auf ihn abzuwälzen. Das letzte
war ihm gleich; er hatte genug auf dem Kerbholz – aber er liebte keine
saubergewaschenen Engel.
Der Nachmittag schlich dahin. Die SS kam kaum noch ins Lager. Sie wußte nicht,
daß die Häftlinge Waffen hatten, und sie war auch nicht deswegen vorsichtig.
Selbst mit hundertmal soviel Revolvern hätten die Gefangenen im offenen Kampf
keine Chance gehabt gegen die Maschinengewehre. Es war einfach die Menge der
Häftlinge, vor der die SS plötzlich zurückscheute.
Um drei Uhr wurden durch den Lautsprecher die Namen von zwanzig Gefangenen
bekannt gegeben – sie sollten sich in zehn Minuten am Tor einfinden, es konnte
alles bedeuten – ein Verhör, Post oder den Tod. Die geheime Häftlingsleitung
ließ alle zwanzig aus ihren Baracken verschwinden; sieben im Kleinen Lager. Der
Befehl wurde wiederholt. Alle aufgerufenen Gefangenen waren politisch. Niemand
befolgte den Befehl. Es war das erstemal, daß das Lager offen den Gehorsam
verweigerte. Kurz darauf wurden sämtliche Häftlinge zum Appellplatz beordert.
Die geheime Lagerleitung gab die Parole aus, in den Baracken zu bleiben. Auf
dem Appellplatz konnten die Häftlinge leichter zusammengeschossen werden. Weber
wollte die Maschinengewehre in Aktion setzen, traute sich aber noch nicht, so
offen gegen Neubauer zu handeln. Die Lagerleitung der Gefangenen wußte durch
die Schreibstube, daß der Befehl nicht von Neubauer, sondern allein von Weber
gekommen war. Weber ließ durch den Lautsprecher erklären, daß das Lager kein
Essen bekommen würde, ehe es nicht angetreten sei und die zwanzig politischen
Gefangenen ausgeliefert hätte.
Um vier Uhr nachmittags kam ein Befehl von Neubauer. Die Lagerältesten sollten
sofort zu ihm kommen. Sie folgten dem Befehl. Das Lager wartete in dumpfer
Spannung, ob sie wiederkommen würden.
Sie kamen nach einer halben Stunde zurück. Neubauer hatte ihnen den Befehl für
den Transport gezeigt. Es war bereits der zweite gewesen. Innerhalb einer
Stunde sollten zweitausend Mann gestellt werden und das Lager verlassen.
Neubauer hatte sich bereit erklärt, den Transport bis zum nächsten Morgen zu
verschieben. Die geheime Lagerleitung trat sofort im Hospital zusammen. Sie
erreichte zunächst, daß der SS-Arzt, Dr. Hoffmann, der umgefallen war,
versprach, seinen Einfluß bei Neubauer zu benützen, die Meldung der zwanzig politischen
Gefangenen ebenfalls bis zum nächsten Tage zu verschieben und den Appell
abzusagen. Dadurch würde die Anordnung, kein Essen auszugeben, hinfällig
werden. Der Arzt ging sofort. Die Lagerleitung beschloß, am nächsten Morgen auf
keinen Fall Leute zum Transport zu stellen.
Wenn die SS die zweitausend Mann zusammentreiben wollte, sollte sabotiert
werden.
Die Gefangenen sollten in Baracken und Straßen zu entkommen suchen. Der
Lagerschutz, der aus Häftlingen bestand, wollte dabei behilflich sein. Es war
anzunehmen, daß die SS, abgesehen von einem Dutzend Leuten,
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