E.M. Remarque
hineingewöhnte! Im
Grunde war man ja nie fanatischer Nazi gewesen. Viel eher Beamter, treuer
Beamter des Vaterlandes.
Weber und ähnliche Leute, Dietz und seine Clique, das waren Nazis.
Neubauer holte sich eine Zigarre. »Romeo und Julia.« Besser, man rauchte sie
auf.
Vier, fünf konnte man in der Kiste lassen. Eventuell dem Gegner präsentieren.
Eine gute Zigarre überbrückte vieles. Er tat ein paar Züge. Wenn die Gegner nun
das Lager sehen wollten?
Gut. Wenn ihnen etwas nicht paßte – er hatte nur auf Befehl gehandelt. Soldaten
verstanden das.
Blutenden Herzens oft. Aber – ihm fiel plötzlich etwas ein.
Essen, gutes, reichliches Essen! Das war es! Danach sah man immer zuerst. Er
mußte sofort anordnen, daß die Rationen erhöht würden.
Damit konnte er zeigen, daß er gleich, als er keine Befehle mehr hatte, alles
für die Häftlinge getan hatte, was möglich war.
Er würde es den beiden Lagerältesten sogar persönlich sagen.
Das waren selbst Häftlinge. Die würden dann für ihn zeugen.
Steinbrenner stand vor Weber. Sein Gesicht glänzte vor Eifer. »Zwei
Häftlinge beim Fluchtversuch erschossen«, meldete er. »Beides Kopfschüsse.«
Weber erhob sich langsam und setzte sich nachlässig auf die Ecke seines
Tisches. »Auf welche Entfernung?«
»Einen auf dreißig, den anderen auf vierzig Meter.«
»Wirklich?«
Steinbrenner wurde rot. Er hatte beide Häftlinge auf eine Entfernung von
wenigen Metern erschossen – gerade weit genug entfernt, damit die Wunden keine
Pulverränder zeigen konnten.
»Und es war ein Fluchtversuch?« fragte Weber.
»Zu Befehl.«
Beide wußten, daß es kein Fluchtversuch gewesen war. Es war nur der Name für
ein beliebtes Spiel der SS. Man nahm die Mütze eines Sträflings, warf sie
hinter sich und befahl ihm, sie wiederzuholen. Passierte er einen dabei, so
erschoß man ihn von hinten wegen Fluchtversuchs. Der Schütze bekam dafür
gewöhnlich einige Tage Urlaub.
»Willst du auf Urlaub?« fragte Weber.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Das sähe aus, als wollte ich mich drücken.«
Weber hob die Augenbrauen und begann langsam das Bein zu wippen, mit dem er auf
dem Tisch saß. Der Reflex der Sonne auf dem hin und her pendelnden Stiefel
irrte über die kahlen Wände wie ein heller, einsamer Schmetterling.
»Du hast also keine Angst?«
»Nein.« Steinbrenner blickte Weber fest an.
»Gut. Wir brauchen gute Leute. Besonders jetzt.«
Weber hatte Steinbrenner schon längere Zeit beobachtet. Er gefiel ihm. Er war
sehr jung und hatte noch etwas von dem Fanatismus, für den die SS einmal
berühmt gewesen war.
»Besonders jetzt«, wiederholte Weber. »Wir brauchen jetzt eine SS der SS.
Verstehst du das?«
»Jawohl. Ich glaube wenigstens.«
Steinbrenner errötete wieder. Weber war sein Vorbild. Er hatte für ihn eine
blinde Verehrung – so wie ein Knabe für einen Indianerhäuptling. Er hatte von
Webers Mut in den Saalschlachten von 1933 gehört; er wußte, daß er 1929 an der
Ermordung von fünf kommunistischen Arbeitern beteiligt gewesen war und dafür
vier Monate im Gefängnis gesessen hatte – die Arbeiter waren nachts aus ihren
Betten geholt und vor den Augen ihrer Angehörigen totgetrampelt worden.
Er kannte auch die Erzählungen von Webers brutalen Verhören bei der Gestapo und
von seiner Rücksichtslosigkeit mit Staatsfeinden. Alles, was er sich wünschte,
war, ebenso zu werden wie sein Ideal. Er war aufgewachsen mit den Lehren der
Partei. Er war sieben Jahre alt gewesen, als der Nationalsozialismus zur Macht
kam, und das vollkommene Produkt seiner Erziehung.
»Es sind viel zu viele ohne genaue Prüfung in die SS gekommen«, sagte Weber.
»Jetzt fängt die Auslese an.
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