E.M. Remarque
Tage ohne Brot.«
Lebenthal schüttelte den Kopf. »Heute geht es nicht. Gerade deshalb nicht.
Heute ist Donnerstag. Kameradschaftsabend in der SS-Kaserne.«
»Ach so. Heute kommen die Huren?«
Lebenthal blickte auf. »So, das weißt du? Woher?«
»Das ist ja egal. Ich weiß es, Berger weiß es, Bucher weiß es, und Ahasver weiß
es.«
»Wer sonst noch?«
»Keiner.«
»So, ihr wißt das! Ich habe nicht gemerkt, daß ihr mich beobachtet habt. Muß
besser aufpassen. Gut, das ist also heute Abend.«
»Leo«, sagte 509. »Versuch heute Abend, den Zahn loszuwerden. Das ist
wichtiger. Dies hier kann ich für dich machen. Gib mir das Geld; ich weiß
Bescheid. Es ist einfach.«
»Du, weißt, wie es gemacht wird?«
»Ja, von der Grube aus ...«
Lebenthal dachte nach. »Da ist ein Kapo bei der Lastwagenkolonne«, sagte er
dann. »Er fährt morgen in die Stadt. Ich könnte probieren, ob er anbeißt. Gut,
meinetwegen. Und vielleicht bin ich auch noch rechtzeitig zurück, um dieses
hier selbst zu machen.«
Er hielt 509 den Zahn hin.
»Was soll ich damit?« fragte 509 erstaunt. »Du mußt ihn doch mitnehmen ...«
Lebenthal schüttelte verachtungsvoll den Kopf. »Da sieht man, was du vom Handel
verstehst! Meinst du, ich kriege etwas dafür, wenn einer von den Brüdern ihn
erst in den Pfoten hat? Das wird anders gemacht. Wenn alles gut geht, komme ich
zurück und hole ihn. Versteck ihn solange. Und nun paß auf ...«
509 lag in einer Bodenvertiefung, ein Stück vom Stacheldraht entfernt,
aber näher, als es erlaubt war. Die Palisaden machten hier einen Knick, und die
Stelle war von den Maschinengewehrtürmen schwer einzusehen – besonders nachts
und bei Nebel.
Die Veteranen hatten das schon seit langem entdeckt; aber erst Lebenthal hatte
es vor einigen Wochen fertig gebracht, Kapital daraus zu schlagen.
Das gesamte Gebiet einige hundert Meter außerhalb des Lagers war verbotene
Zone, die nur mit besonderer Erlaubnis der SS betreten werden durfte. Ein
breiter Streifen davon war von allem Gebüsch gereinigt, und die
Maschinengewehre waren darauf eingeschossen.
Lebenthal, der einen sechsten Sinn hatte für alles, was mit Essen zusammenhing,
hatte beobachtet, daß seit ein paar Monaten zwei Mädchen Donnerstag abends ein
Stück des breiten Weges benützten, der am Kleinen Lager vorbeiführte. Sie
gehörten zur »Fledermaus«, einer Kneipe mit Stimmungsbetrieb, die vor der Stadt
lag, und kamen als Gäste zum gemütlichen Teil der Kulturabende der SS. Die SS
hatte ihnen chevaleresk erlaubt, durch die verbotene Zone zu gehen; sie sparten
so einen Umweg von fast zwei Stunden. Zur Vorsicht wurde während der kurzen
Zeit, die sie brauchten, an der Seite des Kleinen Lagers der Strom abgestellt.
Die Lagerverwaltung wußte davon nichts; die SS-Leute machten das in dem
allgemeinen Durcheinander der letzten Monate auf eigene Faust. Sie riskierten
nichts; niemand vom Kleinen Lager war fähig, zu fliehen.
Eine der Huren hatte einmal in einem Anfall von Gutmütigkeit ein Stück Brot
durch den Draht geworfen, als Lebenthal gerade in der Nähe gewesen war. Ein
paar im Dunkeln geflüsterte Worte und das Angebot, zu bezahlen, hatten genügt –
die Mädchen brachten seitdem manchmal etwas mit, besonders bei regnerischem
oder nebligem Wetter. Sie warfen es durch den Draht, indem sie taten, als
richteten sie sich die Strümpfe oder schüttelten Sand aus ihren Schuhen. Das
Lager war völlig abgeblendet, und die Wachen schliefen an dieser Seite oft;
aber selbst, wenn jemand mißtrauisch geworden wäre: auf die Mädchen hätte
niemand geschossen, und bis er kam, um nachzusehen, wären alle Spuren längst
verschwunden gewesen. 509 hörte, wie der Turm in der Stadt ganz
zusammenstürzte. Eine Feuergarbe
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