E.M. Remarque
schoß empor und zerflatterte. Dann kamen die
fernen Signale der Feuerwehr herüber.
Er wußte nicht, wie lange er gewartet hatte; Zeit war im Lager ein belangloser
Begriff.
Aber plötzlich hörte er durch das unruhige Dunkel Stimmen und dann Schritte.
Er kroch unter dem Mantel Lebenthals hervor näher an den Draht heran und
horchte.
Es waren leichte Schritte, die von links kamen. Er blickte zurück; das Lager
war sehr dunkel, und er konnte nicht einmal mehr die Muselmänner sehen, die zur
Latrine stolperten. Dafür hörte er, wie einer der Posten den Mädchen etwas
nachrief: »Werde um zwölf abgelöst. Treffe euch doch noch, was?«
»Klar, Arthur.«
Die Schritte kamen näher. Es dauerte noch eine Weile, bis 509 die Umrisse der
Mädchen vage gegen den Himmel erkennen konnte. Er sah nach den
Maschinengewehrtürmen hinüber. Es war so diesig und dunkel, daß er die Posten
nicht sehen konnte – und sie ihn deshalb auch nicht. Vorsichtig begann er zu
zischen.
Die Mädchen blieben stehen. »Wo bist du?« flüsterte eine.
509 hob den Arm und winkte.
»Ach da. Hast du das Geld?«
»Ja. Was habt ihr?«
»Gib erst den Zaster her. Drei Mark.«
Das Geld war mit einem langen Stock in einem Beutel, an dem sich ein Bindfaden
befand, unter dem Stacheldraht hinweg auf den Weg geschoben worden. Eines der
Mädchen bückte sich, nahm es heraus und zählte es rasch. Dann sagte es: »Hier,
paß auf!«
Die beiden holten Kartoffeln aus den Taschen ihrer Mäntel und warfen sie durch
den Draht. 509 versuchte, sie in Lebenthals Mantel aufzufangen. »Jetzt kommt
das Brot«, sagte das dickere Mädchen. 509 sah, wie die Scheiben durch den Draht
segelten. Er fischte sie rasch zusammen.
»So, das ist alles.« Die Mädchen wollten weitergehen.
509 zischte.
»Was?« fragte die Dickere.
»Könnt ihr mehr bringen?«
»Nächste Woche.«
»Nein. Wenn ihr von der Kaserne zurückkommt. Die geben euch doch dort, was ihr
wollt.«
»Bist du derselbe, wie immer?« fragte das dickere Mädchen und beugte sich vor.
»Die sehen doch alle gleich aus, Fritzi«, sagte die andere.
»Ich kann hier warten«, flüsterte 509. »Ich habe noch Geld.«
»Wieviel?«
»Drei.«
»Wir müssen los, Fritzi«, sagte das andere Mädchen. Sie markierten während der
Zeit Schritte auf der Stelle, damit die Posten nicht hören sollten, daß beide
nicht weitergingen.
»Ich kann die ganze Nacht warten. Fünf Mark.«
»Du bist ein Neuer, was?« fragte Fritzi. »Wo ist der andere? Tot?«
»Krank. Hat mich hergeschickt. Fünf Mark. Vielleicht auch mehr.«
»Los, Fritzi. Wir können nicht so lange hier stehen bleiben.«
»Schön. Wir werden sehen. Warte meinetwegen hier.«
Die Mädchen gingen weiter. 509 hörte ihre Röcke rascheln.
Er kroch zurück, zog den Mantel hinter sich her und legte sich erschöpft
nieder. Er hatte das Gefühl zu schwitzen; aber er war ganz trocken.
Als er sich umdrehte, sah er Lebenthal. »Geklappt?« fragte Leo.
»Ja. Die Kartoffeln hier und das Brot.«
Lebenthal beugte sich nieder. »Diese Biester«, sagte er dann.
»Was für Blutsauger! Das sind ja fast Preise wie hier im Lager! Eine Mark
fünfzig wäre genug gewesen. Für drei Mark hätte Wurst dabei sein müssen. Das
kommt davon, wenn man so was nicht selber macht!«
509 hörte nicht zu. »Laß uns teilen, Leo«, sagte er.
Sie krochen hinter die Baracke und legten die Kartoffeln und das Brot
auseinander.
»Die Kartoffeln brauche ich«, sagte Lebenthal. »Zum Handel, morgen.«
»Nein. Wir brauchen jetzt alles selbst.«
Lebenthal blickte auf. »So? Und woher soll ich Geld für das nächste mal
kriegen?«
»Du hast doch noch was.«
»Was du nicht alles weißt!«
Sie hockten sich plötzlich wie Tiere auf allen vieren gegenüber und sahen sich
in die eingesunkenen Gesichter.
»Sie kommen heute Abend zurück und bringen mehr«,
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