E.M. Remarque
Stoßen und Stöhnen – dann wurde es still.
»Wir hätten nicht anfangen sollen zu rauchen«, sagte Lebenthal.
»Stimmt. Habt ihr die anderen Zigaretten versteckt?«
»Schon längst.«
»Wir hätten auch die erste sparen sollen. Aber wenn so was passiert ...«
509 war plötzlich völlig erschöpft. »Bucher«, fragte er noch. »Hast du es auch
gehört?«
»Ja ...«
509 fühlte den weichen Schwindel stärker werden; über den Rhein, dachte er und
spürte den Rauch der Zigarette in seinen Lungen. Vor kurzem hatte er das schon
einmal gespürt, erinnerte er sich – aber wann? Rauch, gierig sich ein pressend,
qualvoll und unwiderstehlich. Neubauer, ja, der Rauch der Zigarre; während er
auf dem nassen Boden gelegen hatte. Es schien schon weit weg zu sein, und nur
einen Augenblick zuckte Angst hindurch, dann verschwamm es, und da war ein
anderer Rauch, der Rauch der Stadt, der durch den Stacheldraht gedrungen war,
Rauch der Stadt, Rauch vom Rhein – und plötzlich war ihm, als läge er auf einer
nebligen Wiese, die sich neigte und neigte, und alles wurde sehr sanft und zum
ersten Male ohne Furcht dunkel.
VIII
D ie Latrine war
überfüllt mit Skeletten. Eine lange Reihe stand an und schrie den anderen zu,
rasch zu machen. Ein Teil der Wartenden lag auf der Erde und wand sich in
Krämpfen.
Andere hockten angstvoll nahe den Wänden und entleerten sich, wenn sie sich
nicht mehr halten konnten. Ein Mann stand aufrecht da, wie ein Storch, ein
Knochenbein hochgezogen, einen Arm gegen die Barackenwand gestützt, und starrte
mit offenem Mund ins Weite. Er stand eine Zeitlang so; dann fiel er tot um. Das
kam manchmal vor: Skelette, die kaum noch kriechen konnten, richteten sich
plötzlich mühevoll auf; standen eine Weile mit leeren Augen da und fielen tot
um, als sei ihr letzter Wunsch vor dem Ende gewesen, noch einmal aufrecht wie
ein Mensch dazustehen.
Lebenthal trat vorsichtig über das tote Skelett hinweg und ging dem Eingang zu.
Sofort begann ein aufgeregtes Schnattern. Die Wartenden glaubten, er wolle sich
vordrängen. Man zerrte ihn zurück und schlug mit mageren Fäusten auf ihn ein.
Keiner wagte dabei, die Reihe zu verlassen; die anderen hatten ihn nicht wieder
an seinen Platz gelassen. Trotzdem gelang es den Skeletten, Lebenthal
umzureißen und mit Füßen zu treten. Es schadete ihm wenig, sie hatten keine
Kraft.
Er richtete sich auf. Er hatte nicht betrügen wollen. Er war auf der Suche nach
Bethke vom Transportkommando. Man hatte ihm gesagt, Bethke sei hierher
gegangen.
Eine Zeitlang wartete er noch am Ausgang, weit genug von der schimpfenden Reihe
entfernt. Bethke war ein Kunde für den Zahn Lohmanns.
Er kam nicht. Lebenthal konnte auch nicht verstehen, was er auf dieser
verlausten Latrine zu tun haben sollte. Zwar wurde auch hier etwas gehandelt;
aber ein Bonze wie Bethke hatte für so etwas ganz andere Gelegenheiten.
Lebenthal gab das Warten schließlich auf und ging zur Waschbaracke hinüber. Sie
bestand aus einem kleineren Trakt, der sich an die Latrine anschloß und lange
Zementtröge enthielt, über denen Wasserrohre mit kleinen Öffnungen angebracht
waren. Trauben von Häftlingen drängten sich darum; die meisten, um zu trinken
oder das Wasser in Blechbüchsen aufzufangen und es mitzunehmen. Es war immer zu
wenig Wasser da, um sich wirklich waschen zu können – und wer sich auszog, um
es zu versuchen, mußte stets Angst haben, daß seine Sachen inzwischen gestohlen
wurden.
Der Waschraum war bereits ein Platz für den etwas besseren schwarzen Markt. Auf
der Latrine wurden höchstens Brotkrusten, Abfall und ein paar Zigarettenstummel
umgesetzt.
Der Waschraum dagegen war schon ein Ort für die kleinen Kapitalisten.
Hierher kamen bereits Leute vom
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