E.M. Remarque
»Haltet die Decken und Jacken vor die
Fenster. Kriech in die Ecke unter die Decke, Leo. Los!«
Er zündete das Streichholz an. Lebenthal begann zu lesen, so rasch er konnte.
Es waren die üblichen Vertuschungen. Die Brücke sei wertlos, die Amerikaner
seien unter schwerstem Feuer und abgeschnitten auf dem erreichten Ufer,
Kriegsgericht erwarte die Truppe, die die Brücke nicht zerstört habe – das Streichholz
erlosch.
»Die Brücke nicht zerstört ...« , sagte 509. »Sie haben sie also – intakt
gekreuzt. Wißt ihr, was das heißt?«
»Sie müssen überrascht worden sein ...«
»Das heißt, daß der Westwall durchbrochen ist«, sagte Berger, so vorsichtig,
als glaube er zu träumen. »Der Westwall durchbrochen! Sie sind durch!«
»Es muß die Armee sein. Keine Fallschirmtruppe. Eine Fallschirmtruppe wäre
hinter dem Rhein abgesprungen.«
»Mein Gott, und wir haben nichts gewußt! Wir haben gedacht, daß die Deutschen
noch einen Teil von Frankreich halten!«
»Lies es noch einmal, Leo!« sagte 509. »Wir müssen sicher sein. Von wann ist
es? Ist ein Datum drauf?«
Berger zündete das zweite Streichholz an. »Licht aus!« schrie jemand.
Lebenthal las bereits.
»Von wann?« unterbrach 509.
Lebenthal suchte. »11. März 1945.«
»11. März 45. Und was ist heute?«
Keiner wußte genau, ob es Ende März oder Anfang April war.
Sie hatten im Kleinen Lager verlernt zu zählen. Aber sie wußten, daß der 11.
März schon einige Zeit vorbei war. »Laßt es mich sehen, rasch«, sagte 509.
Er war, ohne auf die Schmerzen zu achten, zu der Ecke hinübergekrochen, wo sie
die Decke hielten. Lebenthal rückte beiseite. 509 blickte auf das Blatt Papier
und las.
Der schmale Kreis des erlöschenden Zündholzes beleuchtete gerade noch die
Überschrift.
»Zünde eine Zigarette an, Berger, schnell!«
Berger tat es, während er kniete. »Wozu bist du hier hergekrochen?« fragte er
und schob ihm die Zigarette in den Mund. Das Streichholz erlosch.
»Gib mir das Blatt«, sagte 509 zu Lebenthal.
Lebenthal gab es ihm. 509 faltete es zusammen und steckte es in sein Hemd. Er
spürte es auf der Haut. Dann tat er einen Zug aus der Zigarette. »Hier – gib
sie weiter.«
»Wer raucht da?« fragte der Mann, der die Zündhölzer gegeben hatte.
»Ihr kommt auch dran. Jeder einen Zug.«
»Ich will nicht rauchen«, jammerte Ammers. »Ich will Zucker.«
509 kroch auf sein Bett zurück. Berger und Lebenthal halfen ihm. »Berger«,
flüsterte er nach einer Weile. »Glaubst du es nun?«
»Ja ...«
»Es war doch richtig mit der Stadt und dem Bombardement ...
»Ja.«
»Du auch, Leo?«
»Ja ...«
»Wir kommen 'raus – wir müssen ...«
»Wir werden das alles morgen besprechen«, sagte Berger. »Schlaf jetzt.«
509 ließ sich zurücksinken. Ihm war schwindelig. Er glaubte, daß es von dem Zug
an der Zigarette käme. Das kleine, rote Lichtpünktchen wanderte, von Händen
abgeschirmt, durch die Baracke.
»Hier«, sagte Berger. »Trinkt das Zuckerwasser noch.«
509 trank. »Behaltet die anderen Stücke«, flüsterte er. »Löst sie nicht auf.
Wir können Essen dafür tauschen. Richtiges Essen ist wichtiger.«
»Da sind noch mehr Zigaretten«, krächzte jemand. »Gebt die anderen her!«
»Da sind keine mehr«, erwiderte Berger.
»Doch! Ihr habt noch mehr. Her damit!«
»Das, was gebracht worden ist, ist für die beiden vom Bunker.«
»Quatsch! Es ist für alle. Her damit!«
»Paß auf, Berger«, flüsterte 509. »Nimm einen Knüppel. Wir müssen die
Zigaretten gegen Essen tauschen. Paß du auch auf, Leo!«
»Ich passe schon auf.«
Man hörte die Veteranen zusammenrücken. Leute tappten durch das Dunkel, fielen,
fluchten, schlugen und schrieen.
Andere in den Betten begannen ebenfalls zu krächzen und zu toben.
Berger wartete einen Moment. »Die SS kommt«, rief er dann.
Ein Huschen und Kriechen und
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