E.M. Remarque
er die Dose fallen, drückte sich mit einer raschen, unvermuteten
Bewegung zwischen den beiden hindurch und drängte dem Ausgang zu. Ein paar
Skelette balgten sich bereits um die Dose, um sie auszukratzen. »Komm wieder«,
rief der Küchenbulle dem Jungen nach. »Bei mir gibt es immer genug.«
Er lachte. Bethke hatte versucht, den Burschen zu halten, war aber über die
Skelette am Boden gestolpert. Er kam wütend hoch und trat auf die huschenden
Finger. Eines der Skelette quietschte wie eine Maus. Das andere entkam mit der
Büchse.
Der Küchenbulle begann den Walzer »Rosen aus dem Süden« zu pfeifen und ging
herausfordernd langsam an Bethke vorbei.
Er hatte einen Bauch und war gut genährt.
Sein dicker Hintern wippte. Fast alle Sträflinge in der Küche waren gut im
Futter.
Bethke spuckte hinter ihm her. Er spuckte aber so vorsichtig, daß er nur
Lebenthal traf. »Da bist du ja«, sagte er grob. »Was willst du? Komm mit. Woher
weißt du, daß ich hier bin?«
Lebenthal antwortete auf keine der Fragen. Er war im Geschäft; da war keine
Zeit zu überflüssigen Erklärungen. Er hatte zwei ernsthafte Reflektanten für
den Zahn Lohmanns: Bethke und einen Vormann von einem der Außenkommandos.
Beide brauchten Geld. Der Vormann war einer gewissen Mathilde hörig, die in
derselben Fabrik arbeitete wie er und die er durch Bestechungen ab und zu
allein treffen konnte.
Sie wog fast 200 Pfund und erschien ihm überirdisch schön; Gewicht war im Lager
dauernden Hungers ein Maßstab für Schönheit. Er hatte Lebenthal einige Pfund
Kartoffeln und ein Pfund Fett angeboten. Lebenthal hatte abgelehnt und
gratulierte sich jetzt dazu. Er hatte die Szene von vorher blitzschnell
kalkuliert und versprach sich nun mehr von dem schwulen Bethke. Abnormale Liebe
hielt er für opferbereiter als normale.
Nach dem, was er beobachtet hatte, hatte er auch in Gedanken sofort seinen
Preis erhöht. »Hast du den Zahn bei dir?« fragte Bethke.
»Nein.«
Sie standen draußen. »Ich kaufe nichts, was ich nicht sehe.«
»Eine Krone ist eine Krone. Backenzahn. Schweres, solides Friedensgold.«
»Mist! Erst sehen! Sonst ist nichts zu wollen.«
Lebenthal wußte, daß der viel kräftigere Bethke ihm den Zahn einfach wegnehmen
würde, wenn er ihn sähe. Er hätte nichts dagegen machen können. Wenn er sich
beschwert hätte, würde man ihn aufgehängt haben. »Schön, dann nicht«, sagte er
ruhig. »Andere Leute sind nicht so schwierig.«
»Andere Leute! Quatschkopf! Finde erst mal welche.«
»Ich weiß welche. Gerade jetzt war einer da.«
»So? Den möchte ich sehen!« Bethke blickte verächtlich um sich. Er wußte, daß
der Zahn nur für jemand von Nutzen sein konnte, der Beziehungen nach draußen
hatte.
»Du hast meinen Reflektanten vor einer Minute selbst gesehen«, sagte Lebenthal.
Es war eine Lüge.
Bethke stutzte. »Wer? Der Küchenbulle?«
Lebenthal hob die Schultern. »Es muß doch einen Grund haben, daß ich gerade
hier bin. Vielleicht will jemand ein Geschenk für einen anderen kaufen und
braucht dazu Geld. Gold ist draußen sehr gesucht. Essen hat er ja genug zum
Tauschen.«
»Du Gauner!« sagte Bethke wütend. »Du Erzgauner!«
Lebenthal hob einmal die schweren Lider und klappte sie wieder nieder. »Etwas,
was es im Lager nicht gibt«, fuhr er ungerührt fort. »Etwas Seidenes, zum
Beispiel.«
Bethke erstickte fast. »Wieviel?« krächzte er.
»Fünfundsiebzig«, erklärte Lebenthal fest. »Ein Vorzugspreis.« Er hatte dreißig
verlangen wollen.
Bethke sah ihn an. »Weißt du, daß ein Wort von mir dich an den Galgen bringen
kann?«
»Sicher. Wenn du es beweisen kannst. Und was hast du davon? Nichts. Du willst
den Zahn haben. Also reden wir geschäftlich.«
Bethke schwieg einen Augenblick. »Kein
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