E.M. Remarque
nicht die SS. Die kommt – anders ...«
Das Klopfen hörte auf. Einige Sekunden später tauchte ein Schatten vor dem
bleichen Licht des Fensters auf und bewegte eine Hand.
»Mach auf, Leo«, sagte 509. »Das ist einer vom Arbeitslager.«
Lebenthal öffnete die Tür, und ein Schatten schlüpfte hinein. »Lewinsky«, sagte er in das Dunkel. »Stanislaus. Wer ist wach?«
»Alle. Hier.«
Lewinsky fühlte in die Richtung Bergers, der gesprochen hatte. »Wo? Ich will
auf keinen treten.«
»Bleib stehen.«
Berger kam herüber. »Hier. Setz dich hierher.«
»Leben die beiden?«
»Ja. Sie liegen links neben dir.«
Lewinsky schob etwas in Bergers Hand. »Hier ist etwas ...«
»Was?«
»Jod, Aspirin und Watte. Hier ist auch eine Rolle Gaze. Und dieses ist
Wasserstoffsuperoxyd.«
»Das ist ja eine Apotheke«, sagte Berger erstaunt. »Wo hast du das alles her?«
»Gestohlen. Aus dem Hospital. Einer von uns räumt da auf.«
»Gut. Wir können es brauchen.«
»Hier ist Zucker. In Stücken. Gib sie ihnen in Wasser. Zucker ist gut.«
»Zucker?« sagte Lebenthal. »Wo hast du denn den her?«
»Irgendwoher. Du bist Lebenthal, was?« fragte Lewinsky in die Dunkelheit.
»Ja, warum?«
»Weil du das fragst.«
»Ich habe nicht deshalb gefragt«, sagte Lebenthal beleidigt.
»Ich kann dir nicht sagen, woher er kommt. Einer von Baracke 9 hat ihn gebracht.
Für die beiden. Hier ist auch noch etwas Käse. Von Baracke 11 sind diese sechs
Zigaretten.«
Zigaretten! Sechs Zigaretten! Ein unvorstellbarer Schatz. Sie schwiegen alle
einen Augenblick.
»Leo«, sagte Ahasver dann. »Der ist besser als du.«
»Unsinn.« Lewinsky sprach abgerissen und rasch, als wäre er außer Atem. »Sie
haben es gebracht, bevor die Baracken abgeschlossen wurden. Wußten, daß ich
'rüberkommen würde, wenn das Lager sicher war.«
»Lewinsky«, flüsterte 509. »Bist du das?«
»Ja ...«
»Du kannst 'raus?«
»Klar. Wie wäre ich sonst hier? Ich bin Mechaniker. Stück Draht, ganz einfach.
Ich bin gut mit Schlössern. Außerdem kann man immer durchs Fenster. Wie macht
ihr es hier?«
»Hier wird nicht abgeschlossen! Die Latrinen sind draußen«, antwortete Berger.
»Ach so, ja. Hatte das vergessen.« Lewinsky machte eine Pause. »Haben die
anderen unterschrieben?« fragte er dann in die Richtung von 509. »Die, die mit
euch waren?«
»Ja ...«
»Und ihr nicht?«
»Wir nicht.«
Lewinsky beugte sich vor. »Wir hätten nicht geglaubt, daß ihr das schaffen
würdet.«
»Ich auch nicht«, sagte 509.
»Ich meine nicht nur, daß ihr es ausgehalten habt. Ich meine, daß euch nicht
mehr passiert ist.«
»Das meine ich auch.«
»Laß sie in Ruhe«, sagte Berger. »Sie sind schwach. Wozu willst du das alles so
genau wissen?«
Lewinsky bewegte sich im Dunkeln. »Das ist wichtiger, als du glaubst.« Er stand
auf. »Ich muß zurück. Komme bald wieder. Bringe noch was. Will auch noch was
mit euch besprechen.«
»Gut.«
»Ist hier nachts oft Kontrolle?«
»Wozu? Um Tote zu zählen?«
»Gut. Also keine.«
»Lewinsky ...« , flüsterte 509.
»Ja ...«
»Kommst du bestimmt wieder?«
»Bestimmt.«
»Hör zu!« 509 suchte erregt nach Worten. »Wir sind noch – wir sind noch nicht
fertig – wir sind noch zu was – zu gebrauchen ...«
»Deshalb komme ich ja wieder. Nicht aus Nächstenliebe.«
»Gut. Dann ist es gut – du kommst bestimmt ...«
»Bestimmt ...«
»Vergeßt uns nicht ...«
»Das hast du mir schon einmal gesagt. Ich habe es nicht vergessen. Deshalb bin
ich hergekommen. Ich komme wieder.«
Lewinsky tastete sich zum Eingang zurück. Lebenthal drückte die Tür hinter ihm
zu. »Halt«, flüsterte Lewinsky von draußen. »Hab' noch was vergessen. Hier ...«
»Kannst du nicht 'rausfinden, woher der Zucker ist?« fragte Lebenthal.
»Weiß nicht. Will sehen.« Lewinsky sprach immer noch abgerissen und außer
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