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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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Stel­le tropf­te Mond­licht hin­durch. 509 hat­te sich auf­ge­rich­tet.
Sein Ge­sicht war schwarz und blau und grün von Bluter­güs­sen. Bu­cher er­in­ner­te
sich plötz­lich an al­te Ge­schich­ten über ihn und We­ber, die er ge­hört hat­te. Er
muß­te selbst ein­mal ei­ner der Leu­te ge­we­sen sein, von de­nen er sprach.
    »Hör zu«, sag­te 509. »Und hö­re gut zu. Es ist ei­ne bil­li­ge Ro­man­phra­se, daß
Geist nicht zu bre­chen sei. Ich ha­be gu­te Leu­te ge­kannt, die nichts mehr wa­ren
als heu­len­de Tie­re. Fast je­den Wi­der­stand kann man bre­chen; man braucht nur
ge­nü­gend Zeit und Ge­le­gen­heit da­zu. Das ha­ben die da drü­ben ...« , er mach­te ei­ne
Ge­bär­de zu den SS-Ka­ser­nen hin­über, »die ha­ben es ganz gut ge­wußt. Und sie sind
im­mer da­hin­ter her ge­we­sen. Bei Wi­der­stand kommt es nur dar­auf an, was man
da­mit er­reicht; nicht wie es aus­sieht. Sinn­lo­ser Mut ist si­che­rer Selbst­mord.
Un­ser biß­chen Wi­der­stand aber ist das ein­zi­ge, was wir noch ha­ben. Wir müs­sen
es ver­ste­cken, da­mit sie es nicht fin­den – es nur in äu­ßers­ter Not ge­brau­chen
–, so wie wir es bei We­ber ge­tan ha­ben. Sonst ...«
    Das Mond­licht hat­te den Kör­per West­hofs er­reicht. Es husch­te über sein Ge­sicht
und sei­nen Nacken. »Ein paar von uns müs­sen üb­rig­blei­ben«, flüs­ter­te 509. »Für
spä­ter. Die­ses al­les darf nicht um­sonst ge­we­sen sein. Ein paar, die nicht
ka­putt sind.«
    Er lehn­te sich er­schöpft zu­rück. Den­ken er­schöpf­te eben­so wie Lau­fen. Meis­tens
konn­te man es nicht vor Hun­ger und Schwä­che; aber manch­mal kam da­zwi­schen ei­ne
selt­sa­me Leich­tig­keit, al­les war über­deut­lich, und man konn­te kur­ze Zeit weit
se­hen – bis der Ne­bel der Mü­dig­keit al­les wie­der über­kroch.
    »Ein paar, die nicht ka­putt sind und die nicht ver­ges­sen wol­len«, sag­te 509.
    Er sah Bu­cher an. Er ist über zwan­zig Jah­re jün­ger als ich, dach­te er. Er kann
noch viel tun. Er ist noch nicht ka­putt. Und ich? Die Zeit, dach­te er,
plötz­lich ver­zwei­felt.
    Sie fraß und fraß. Man wür­de es erst mer­ken, wenn die­ses hier vor­bei war. Man
wür­de erst wirk­lich mer­ken, ob man ka­putt war, wenn man wie­der neu an­fan­gen
woll­te drau­ßen. Die­se zehn Jah­re im La­ger zähl­ten für je­den dop­pelt und
drei­fach. Wer hat­te noch Kraft ge­nug? Und es wür­de viel Kraft ge­braucht wer­den.
    »Man wird vor uns nicht auf die Knie fal­len, wenn wir hier her­aus­kom­men«, sag­te
er. »Man wird al­les ab­leug­nen und ver­ges­sen wol­len. Uns auch. Und vie­le von uns
wer­den es auch ver­ges­sen wol­len.«
    »Ich wer­de es nicht ver­ges­sen«, er­wi­der­te Bu­cher fins­ter. »Die­ses nicht und
al­les nicht.«
    »Gut.« Die Wel­le der Er­schöp­fung kam stär­ker. 509 schloß die Au­gen, öff­ne­te sie
aber gleich wie­der. Da war noch et­was, das er aus­spre­chen muß­te, be­vor er es
wie­der ver­lor. Bu­cher soll­te es wis­sen. Viel­leicht war er der ein­zi­ge, der
durch­kom­men wür­de.
    Es war wich­tig, daß er es wuß­te. »Hand­ke ist kein Na­zi«, sag­te er mit Mü­he. »Er
ist ein Ge­fan­ge­ner wie wir. Drau­ßen hät­te er wahr­schein­lich nie einen Men­schen
ge­tö­tet. Hier tut er es, weil er die Macht da­zu hat. Er weiß, daß es uns nichts
nützt, wenn wir uns be­schwe­ren. Er wird ge­deckt. Er hat kei­ne Ver­ant­wor­tung.
Das ist es. Macht und kei­ne Ver­ant­wor­tung – zu viel Macht, in falschen Hän­den,
zu viel Macht über­haupt – in ir­gend­ei­ner Hand –, ver­stehst du ...«
    »Ja«, sag­te Bu­cher.
    509 nick­te. »Das und das an­de­re – die Träg­heit des Her­zens – die Angst – die
Drücke­ber­ge­rei des Ge­wis­sens – das ist un­ser Elend – dar­über ha­be ich heu­te –
den gan­zen Abend nach­ge­dacht ...«
    Die Mü­dig­keit war jetzt wie ei­ne schwar­ze Wol­ke, die läh­mend nä­her kam. 509 zog
ein Stück Brot aus der Ta­sche. »Hier – ich brau­che das nicht – ha­be mein
Fleisch ge­habt – gib es Ruth ...«
    Bu­cher sah ihn an und rühr­te sich nicht. »Ha­be al­les ge­hört vor­hin drü­ben«,
sag­te 509 mit schwe­rer Stim­me, schon voll von Nie­der­sin­ken. »Gib es ihr – es
ist ...« sein

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