E.M. Remarque
'reinbringen?« fragte Bucher. »Das Aas kann
noch einmal wiederkommen.«
»Er kommt nicht wieder. Ich kenne ihn. Er hat sich jetzt ausgetobt.«
Lebenthal glitt um die Ecke der Baracke. »Ist er tot?«
»Nein. Noch nicht.«
»Er hat ihn getreten«, sagte Berger. »Sonst schlägt er nur. Er muß mehr Schnaps
als gewöhnlich gekriegt haben.«
Lebenthal preßte den Arm gegen seine Jacke. »Ich habe Essen.«
»Leise! Sonst hört es die ganze Baracke. Was hast du?«
»Fleisch«, flüsterte Lebenthal. »Für den Zahn.«
»Fleisch?«
»Ja. Viel. Und Brot.«
Er sagte nichts mehr von dem Hasen. Das paßte nicht mehr.
Er sah auf die dunkle Gestalt am Boden, neben der Berger kniete. »Vielleicht
kann er noch etwas davon essen«, sagte er.
»Es ist gekocht.«
Der Nebel war dichter geworden. Bucher stand an dem doppelten Drahtzaun, der
die Frauenbaracke abtrennte. »Ruth!« flüsterte er. »Ruth!«
Ein Schatten kam heran. Er starrte hinüber, konnte die Gestalt aber nicht
erkennen.
»Ruth«, flüsterte er wieder. »Bist du da?«
»Kannst du mich sehen?«
»Ja.«
»Ich habe etwas zu essen. Siehst du meine Hand?«
»Ja, ja.«
»Es ist Fleisch. Ich werfe es hinüber. Jetzt.«
Er nahm das kleine Stück Fleisch und warf es über die beiden Stacheldrahtzäune.
Es war die Hälfte der Portion, die er bekommen hatte. Er hörte es auf der
anderen Seite niederfallen. Der Schatten bückte sich und suchte auf dem Boden.
»Links! Links von dir!« flüsterte Bucher. »Es muß ungefähr einen Meter links
von dir liegen. Hast du es gefunden?«
»Nein.«
»Links. Einen Meter weiter. Gekochtes Fleisch! Such es, Ruth.« Der Schatten
hielt inne. »Hast du es?«
»Ja.«
»Gut. Iß es gleich. Ist es gut?«
»Ja. Hast du noch mehr?«
Bucher stutzte. »Nein. Ich habe meinen Teil schon gehabt.«
»Du hast noch etwas! Wirf es hinüber!«
Bucher trat so dicht an den Draht, daß die Stacheln ihm in die Haut drangen. Die
Innenzäune des Lagers waren nicht elektrisch geladen. »Du bist nicht Ruth! Bist
du Ruth?«
»Ja, Ruth. Mehr! Wirf!«
Er wußte plötzlich, daß es nicht Ruth war. Ruth hätte das alles nicht gesagt.
Der Nebel, die Aufregung, der Schatten und das Flüstern hatten ihn getäuscht.
»Du bist nicht Ruth! Sag, wie ich heiße!«
»Psst! Leise! Wirf!«
»Wie heiße ich? Wie heiße ich?«
Der Schatten antwortete nicht. »Das Fleisch ist für Ruth! Für Ruth!« flüsterte
Bucher. »Gib es ihr! Verstehst du? Gib es ihr!«
»Ja, ja. Hast du noch mehr?«
»Nein! Gib es ihr! Es gehört ihr! Nicht dir! Ihr!«
»Ja, natürlich ...«
»Gib es ihr. Oder ich – ich ...«
Er hielt inne. Was konnte er schon tun? Er wußte, daß der Schatten das Stück
Fleisch längst heruntergeschlungen hatte.
Verzweifelt ließ er sich zu Boden fallen, als habe eine unsichtbare Faust ihn
niedergeschlagen. »Oh, du – verdammtes Biest – verrecken sollst du – verrecken
daran ...«
Es war zu viel. Nach so vielen Monaten ein Stück Fleisch und es so idiotisch zu
verlieren! Er schluchzte ohne Tränen.
Der Schatten gegenüber wisperte: »Gib mehr – ich zeige dir auch – hier ...«
Es schien, als hebe sie den Rock. Die Bewegungen waren verzerrt durch das
weißliche Wogen, als tanze dort eine groteske, unmenschliche Figur in
Bocksprüngen. »Du Aas!« flüsterte Bucher. »Du Aas, verrecke dran! Ich Idiot –
ich Idiot ...« Er hätte genau fragen sollen, ehe er das Fleisch warf – oder er
hätte warten sollen, bis es klarer geworden wäre; aber dann hätte er das
Fleisch vielleicht schon selbst gegessen gehabt. Er hatte es Ruth rasch geben
wollen. Der Nebel war ihm als Glücksfall erschienen. Und nun – er stöhnte und
hämmerte mit den Fäusten auf den Boden.
»Ich Idiot! Was habe ich getan!« Ein Stück Fleisch war ein Stück Leben. Er
hätte sich erbrechen können vor Elend.
Die Kühle der Nacht weckte ihn. Er stolperte zurück. Vor der Baracke stürzte er
über
Weitere Kostenlose Bücher