E.M. Remarque
Hochverrat! Verständlich
im Augenblick Ihres Schmerzes natürlich, aber verboten. Ich will es nicht
gehört haben. Befehl ist Befehl, das genügt für unser Gewissen. Reue ist
undeutsch. Falsches Denken auch. Der Führer weiß schon, was er tut. Wir folgen
ihm, fertig. Diesen Massenmördern wird er es schon noch heimzahlen! Doppelt und
dreifach! Mit unseren geheimen Waffen! Wir kriegen sie zu Boden! Schon jetzt
beschießen wir England Tag und Nacht mit unseren V1 Geschossen. Wir werden die
ganze Insel in Asche legen mit all den neuen Erfindungen, die wir haben. Im
letzten Moment! Und Amerika dazu! Sie müssen bezahlen! Doppelt und dreifach!
Doppelt und dreifach«, wiederholte Neubauer und wurde zuversichtlich und begann
selbst fast zu glauben, was er redete.
Er holte eine Zigarre aus einem Lederetui und biß die Spitze ab. Er wollte noch
weitersprechen. Er hatte plötzlich ein großes Bedürfnis danach – aber er
schwieg, als er Alfreds zusammengepreßte Lippen sah. Wer kümmert sich schon um
mich, dachte er. Jeder ist nur mit sich beschäftigt. Ich sollte zu meinem
Garten vor der Stadt fahren.
Die Kaninchen, weich und flaumig, mit roten Augen in der Dämmerung. Immer,
schon als Junge, hatte er Kaninchen haben wollen. Sein Vater hatte es verboten.
Jetzt hatte er sie. Der Geruch nach Heu und Fell und frischen Blättern. Die
Geborgenheit der Knabenerinnerung. Vergessene Träume.
Manchmal war man verdammt allein.
Hundertdreißigtausend Mark. Das Höchste, was er als Junge gehabt hatte, waren
fünfundsiebzig Pfennig gewesen. Zwei Tage später hatte man sie ihm gestohlen.
Feuer um Feuer sprang auf. Es war die alte Stadt, die wie Zunder
brannte. Sie bestand fast nur aus Holzhäusern. Der Fluß spiegelte die Flammen,
als brenne auch er.
Die Veteranen, die gehen konnten, hockten in einem schwarzen Klumpen vor der
Baracke. Im roten Dunkel konnten sie sehen, daß die Maschinengewehrstände noch
leer waren. Der Himmel war bedeckt; die weiche, graue Wolkenschicht war
angestrahlt wie Flamingogefieder. Das Feuer funkelte selbst in den Augen der
Toten, die aufeinandergeschichtet hinter ihnen lagen.
Ein leises Scharren weckte die Aufmerksamkeit von 509.
Lewinskys Gesicht hob sich vom Boden. 509 atmete tief und stand auf. Er hatte
auf diesen Augenblick gewartet, seit er wieder kriechen konnte. Er hätte sitzen
bleiben können, aber er stand auf; er wollte Lewinsky zeigen, daß er gehen
konnte und kein Krüppel war.
»Alles wieder in Ordnung?« fragte Lewinsky.
»Natürlich. So leicht kriegt man uns nicht kaputt.«
Lewinsky nickte. »Können wir irgendwo reden?«
Sie gingen auf die andere Seite des Totenhaufens. Lewinsky blickte rasch um
sich.
»Die Wachen sind bei euch noch nicht zurück ...«
»Hier ist nicht viel zu bewachen. Bei uns bricht keiner aus.«
»Das meine ich. Und nachts werdet ihr nicht kontrolliert?«
»So gut wie nie.«
»Wie ist es am Tage? Kommt die SS oft in die Baracken?«
»Fast nie. Sie hat Angst vor Läusen, Dysenterie und Typhus.«
»Und euer Blockführer?«
»Der kommt nur zum Appell. Kümmert sich sonst wenig um uns.«
»Wie heißt er?«
»Bolte. Scharführer.«
Lewinsky nickte. »Die Blockältesten schlafen hier nicht in den Baracken, wie?
Nur die Stubenältesten. Wie ist eurer?«
»Du hast neulich mit ihm gesprochen. Berger. Wir könnten keinen besseren
haben.«
»Ist das der Arzt, der jetzt im Krematorium arbeitet?«
»Ja. Du weißt gut Bescheid.«
»Wir haben uns danach erkundigt. Wer ist euer Blockältester?«
»Handke. Ein Grüner. Hat vor ein paar Tagen einen von uns totgetreten.«
»Scharf?«
»Nein. Gemein. Aber er weiß wenig von uns. Hat auch Angst, sich mit irgend
etwas anzustecken. Kennt nur ein paar von uns. Die Gesichter wechseln zu
schnell.
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