E.M. Remarque
Gehirnen. Es ist wie Fleisch.«
»Hat er keine Nachrichten mitgebracht?« fragte Lebenthal. »Stück Zeitung oder
so was?«
»Nein. Alles ist verboten. Aber sie haben ein geheimes Radio gebaut. Aus
Abfällen und gestohlenen Teilen. In ein paar Tagen wird es funktionieren. Kann
sein, daß sie es hier verstecken. Dann werden wir wissen, was vorgeht.« 509
nahm zwei Stücke Brot aus der Tasche; Lewinsky hatte sie dagelassen. Er gab sie
Berger. »Hier, Ephraim. Verteile sie. Er will mehr bringen.«
Jeder nahm sein Stück. Sie aßen es langsam. Tief unten glühte die Stadt. Hinter
ihnen lagen die Toten. Die kleine Gruppe hockte schweigend beieinander und aß
das Brot, und es schmeckte anders als alles Brot vorher. Es war wie eine
sonderbare Kommunion, die sie unterschied von den anderen in der Baracke. Von
den Muselmännern.
Sie hatten den Kampf aufgenommen. Sie hatten Kameraden gefunden. Sie hatten ein
Ziel. Sie blickten auf die Felder und die Berge und die Stadt und die Nacht –
und keiner sah in diesem Augenblick den Stacheldraht und die
Maschinengewehrtürme.
X
N eubauer nahm das
Papier, das auf seinem Schreibtisch lag, wieder auf. Einfach für die Brüder,
dachte er. Eine dieser Gummiverordnungen, aus denen man alles mögliche machen
konnte – las sich harmlos, war aber ganz anders gemeint. Eine Aufstellung der
wichtigeren politischen Gefangenen sollte gemacht werden, falls noch welche in
den Lagern seien, war hinzugefügt worden. Das war der Dreh. Man verstand den
Wink. Die Konferenz mit Dietz heute morgen war dazu gar nicht mehr nötig
gewesen.
Dietz hatte leicht reden. Erledigen Sie, was gefährlich ist, hatte er erklärt,
wir können in diesen schweren Zeiten nicht ausgeprägte Vaterlandsfeinde im
Rücken haben und sie sogar noch füttern. Reden war immer leicht; aber irgend
jemand mußte es dann tun. Das war eine aridere Sache. Dinge solcher Art sollte
man ganz genau schriftlich haben. Dietz hatte nichts Schriftliches hergegeben –
und diese verdammte Anfrage hier war kein wirklicher Befehl; sie ließ einem die
ganze Verantwortlichkeit.
Neubauer schob das Papier zur Seite und holte eine Zigarre hervor. Zigarren
wurden auch knapp. Er hatte noch vier Kisten; dann blieb nur die »Deutsche
Wacht«, und auch davon gab es nicht mehr allzu viel. Fast alles war verbrannt.
Man hätte besser Vorsorgen sollen, als man noch im Fett lebte – aber wer hätte
gedacht, daß es einmal so kommen würde?
Weber kam herein. Neubauer schob ihm nach kurzem Zögern die Kiste hin.
»Bedienen Sie sich«, sagte er mit falscher Herzlichkeit. »Raritäten.«
»Danke. Ich rauche nur Zigaretten.«
»Richtig. Ich vergesse das immer wieder. Schön, dann rauchen Sie Ihre
Sargnägel.«
Weber verbiß ein Grinsen. Der Alte mußte Schwierigkeiten haben; er war
gastfreundlich.
Er zog ein flaches goldenes Etui aus der Tasche und klopfte sich eine Zigarette
zurecht. Die Dose hatte 1933 dem Justizrat Aron Weizenblut gehört. Sie war ein
glücklicher Fund gewesen.
Das Monogramm hatte gepaßt: Anton Weber. Sie war die einzige Beute, die er in
all den Jahren gemacht hatte; er brauchte nicht viel und fragte nicht nach
Besitz.
»Da ist eine Verordnung gekommen«, sagte Neubauer. »Hier lesen Sie das doch mal
durch.«
Weber nahm das Blatt auf. Er las langsam und lange.
Neubauer wurde ungeduldig.
»Der Rest ist unwichtig«, sagte er. »In Frage kommt nur der Passus mit den
politischen Gefangenen. Wieviel haben wir davon ungefähr noch?«
Weber legte das Papier auf den Schreibtisch zurück. Es glitt über die polierte
Fläche gegen eine kleine Glasvase mit Veilchen. »Ich weiß das nicht so genau im
Augenblick«, erwiderte er. »Es muß etwa die Hälfte der Häftlinge sein.
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