E.M. Remarque
belastende Material gegen
Vorgesetzte und Parteigenossen. Wer im Feuer stand, konnte niemals für genug
Deckung sorgen.
Neubauer klappte den blauen Aktendeckel befriedigt zu und griff zum Telefon.
Sein Rechtsanwalt hatte ihm einen ausgezeichneten Tipp gegeben: gebombte
Grundstücke zu kaufen. Sie waren billig.
Ungebombte auch. Man konnte seine eigenen Verluste damit herausholen.
Grundstücke behielten ihren Wert, auch wenn sie hundertmal gebombt wurden. Man
mußte die augenblickliche Panik ausnutzen.
Das Aufräumungskommando kam vom Kupferwerk zurück.
Es hatte zwölf Stunden schwer gearbeitet. Ein Teil der großen Halle war
eingestürzt, und verschiedene Abteilungen waren schwer beschädigt. Nur wenige
Hacken und Spaten waren zur Verfügung gewesen, und die meisten Gefangenen
hatten mit den bloßen Händen arbeiten müssen. Die Hände waren zerrissen und
bluteten. Alle waren todmüde und hungrig. Mittags hatten sie eine dünne Suppe
bekommen, in der unbekannte Pflanzen schwammen. Die Direktion des Kupferwerkes
hatte sie großmütig spendiert. Ihr einziger Vorteil war gewesen, daß sie warm
war. Dafür hatten die Ingenieure und Aufseher des Werks die Gefangenen wie
Sklaven gehetzt. Sie waren Zivilisten; aber manche waren nicht viel besser als
die SS.
Lewinsky marschierte in der Mitte des Zuges. Neben ihm ging Willy Werner. Beide
hatten es geschafft, beim Einteilen des Kommandos in dieselbe Gruppe zu kommen.
Es waren keine einzelnen Nummern aufgerufen worden; nur eine Gesamtgruppe von
vierhundert Mann. Das Aufräumen war ein schweres Kommando. Es hatte wenige
Freiwillige dafür gegeben, und so war es leicht gewesen für Lewinsky und
Werner, hineinzugelangen. Sie wußten, warum sie es wollten.
Sie hatten es schon einige Male vorher getan.
Die vierhundert marschierten langsam. Sie hatten sechzehn Mann bei sich, die
bei der Arbeit zusammengebrochen waren.
Zwölf konnten noch gehen, wenn sie gestützt wurden; die anderen vier wurden
getragen; zwei auf einer rohen Bahre, die anderen beiden an Armen und Füßen.
Der Weg zum Lager war weit, die Gefangenen wurden um die Stadt herumgeführt.
Die SS vermied es, sie durch die Straßen marschieren zu lassen. Sie wollte
nicht, daß man sie sah; und sie wollte jetzt auch nicht, daß die Gefangenen zu
viel von der Zerstörung sähen.
Sie näherten sich einem kleinen Birkenwald. Die Stämme schimmerten seidig im
letzten Licht. Die SS-Wachen und die Kapos verteilten sich den Zug entlang. Die
SS hielt die Waffen schußbereit. Die Gefangenen trotteten vorwärts. Vögel
zwitscherten in den Ästen. Ein Hauch von Grün und Frühling hing in den Zweigen.
Schneeglöckchen und Primeln wuchsen an den Gräben. Wasser gluckste. Niemand
beachtete es.
Alle waren zu müde. Dann kamen aufs neue Felder und Äcker, und die Wachen zogen
sich wieder zusammen. Lewinsky ging dicht neben Werner. Er war aufgeregt. »Wo
hast du es hingetan?« fragte er, ohne die Lippen zu bewegen.
Werner machte eine kleine Bewegung und drückte den Arm an die Rippen.
»Wer hat es gefunden?«
»Münzer. An derselben Stelle.«
»Dieselbe Marke?«
Werner nickte.
»Haben wir jetzt alle Teile?«
»Ja. Münzer kann sie im Lager montieren.«
»Ich habe eine Handvoll Patronen gefunden. Konnte nicht sehen, ob sie passen.
Mußte sie rasch wegstecken. Hoffe, sie passen.«
»Wir werden sie schon gebrauchen können.«
»Hat sonst noch jemand was?«
»Münzer hat noch Revolverteile.«
»Lagen sie an derselben Stelle wie gestern?«
»Ja.«
»Jemand muß sie dahin gelegt haben.«
»Natürlich. Jemand von außen.«
»Einer von den Arbeitern.«
»Ja. Es ist jetzt das
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