E.M. Remarque
Wer
stirbt, ißt nicht mehr.«
Neubauer nickte. »Trotzdem – Sie kennen mein Motto: Immer menschlich, solange
es geht. Wenn es natürlich nicht mehr geht – Befehl ist Befehl ...«
Sie standen jetzt beide am Fenster und rauchten. Sie sprachen ruhig und
sachlich wie zwei ehrenhafte Viehhändler in einem Schlachthof. Draußen
arbeiteten Gefangene in den Beeten, die das Haus des Kommandanten umgaben.
»Ich lasse da eine Einfassung von Iris und Narzissen setzen«, sagte Neubauer.
»Gelb und blau – eine schöne Farbenzusammenstellung.«
»Ja«, erwiderte Weber ohne Enthusiasmus.
Neubauer lachte. »Interessiert Sie wohl nicht sehr, was?«
»Nicht übermäßig. Ich bin Kegler.«
»Ist auch was Schönes.« Neubauer beobachtete die Arbeiter noch eine Weile.
»Was macht eigentlich die Lagerkapelle? Die Kerle haben ein reichlich faules
Leben.«
»Sie spielen beim Ein- und Ausmarsch und zweimal wöchentlich nachmittags.«
»Nachmittags haben die Arbeitskommandos nichts davon. Veranlassen Sie doch, daß
abends nach dem Appell noch eine Stunde musiziert wird. Das ist gut für die
Leute. Lenkt sie ab. Besonders, wenn wir mit dem Essen sparsamer werden
müssen.«
»Ich werde es veranlassen.«
»Wir haben dann ja wohl alles besprochen und verstehen uns.«
Neubauer ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er öffnete eine Schublade und
holte ein kleines Etui heraus. »Hier ist noch eine Überraschung für Sie, Weber.
Heute gekommen. Dachte, es würde Ihnen Freude machen.«
Weber öffnete das Etui. Es enthielt ein Kriegsverdienstkreuz.
Neubauer sah zu seinem Erstaunen, daß Weber errötete. Er hätte alles andere
erwartet. »Hier ist eine Bestätigung dazu«, erklärte er. »Sie hätten es längst
haben sollen. Wir sind ja hier gewissermaßen auch an der Front. Kein Wort
weiter darüber.«
Er reichte Weber die Hand. »Harte Zeiten. Wir müssen sie durchstehen.«
Weber ging. Neubauer schüttelte den Kopf. Der kleine Trick mit dem Orden hatte
besser gewirkt, als er geglaubt hätte.
Irgendwo hatte doch jeder seine schwache Stelle.
Er blieb eine Weile grübelnd vor der großen bunten Landkarte von Europa stehen,
die an der Wand gegenüber dem Hitlerbild hing. Die Fähnchen darauf stimmten
nicht mehr. Sie befanden sich noch weit innerhalb Rußlands. Neubauer hatte sie
da stecken lassen in einer Art von Aberglauben, daß sie vielleicht noch einmal
gültig werden könnten. Er seufzte, ging zum Schreibtisch zurück, hob die
Glasvase mit den Veilchen auf und roch den süßen Duft. Ein unklarer Gedanke
streifte ihn. Das sind wir, unsere Besten, dachte er fast erschüttert. Raum für
alles haben wir in unserer Seele. Eiserne Disziplin bei historischen
Notwendigkeiten und gleichzeitig tiefstes Gemüt. Der Führer mit seiner
Kinderliebe. Göring, der Freund der Tiere. Er roch noch einmal an den Blumen.
Hundertdreißigtausend Mark hatte er verloren und war trotzdem schon wieder
obenauf. Nicht kaputt zu kriegen! Schon wieder Sinn für das Schöne! Die Idee
mit der Lagerkapelle war gut gewesen. Selma und Freya kamen heute Abend herauf.
Es würde einen glänzenden Eindruck auf sie machen. Er setzte sich an die
Schreibmaschine und tippte mit zwei dicken Fingern den Befehl für die Kapelle.
Das war für seine Privatakten, Dazu kam die Anordnung, schwache Sträflinge von
der Arbeit zu befreien. Sie stimmte in einer anderen Weise, aber er hatte sie
einfach so verstanden.
Was Weber tat, war seine Sache. Er würde schon etwas tun; das Kriegsverdienstkreuz
war gerade rechtzeitig angekommen.
Die Privatakten enthielten eine ganze Anzahl Beweise für Neubauers Milde und
Fürsorge. Daneben selbstverständlich das übliche
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