E.M. Remarque
Vielleicht
etwas mehr oder weniger. Alle mit dem roten Winkel. Abgesehen von den
Ausländern, natürlich. Die andere Hälfte sind Kriminelle und eine Anzahl Homos,
Bibelforscher und so was.«
Neubauer blickte auf. Er wußte nicht, ob Weber sich absichtlich dumm stellte;
Webers Gesicht verriet nichts. »Das meine ich nicht. Die Leute mit den roten
Winkeln sind doch nicht alle Politische. Nicht im Sinne dieser Verordnung.«
»Selbstverständlich nicht. Der rote Winkel ist nur eine lose
Gesamtklassifizierung. Da sind Juden, Katholiken, Demokraten, Sozialdemokraten,
Kommunisten und wer weiß was dabei.«
Neubauer wußte das auch. Weber brauchte ihn nach zehn Jahren nicht darüber zu
belehren. Er hatte das unsichere Gefühl, daß sein Lagerführer sich wieder
einmal über ihn lustig machte.
»Wie steht es mit den wirklich Politischen?« fragte er, ohne sich etwas merken
zu lassen.
»Meistens Kommunisten.«
»Das können wir genau feststellen, wie?«
»Ziemlich genau. Es steht in den Papieren.«
»Haben wir außerdem noch wichtige politische Leute hier?«
»Ich kann nachforschen lassen. Es mag noch eine Anzahl Zeitungsleute,
Sozialdemokraten und Demokraten da sein.«
Neubauer blies den Rauch seiner Partagas von sich. Sonderbar, wie rasch doch
eine Zigarre immer beruhigte und optimistisch machte! »Gut«, sagte er herzlich:
»Stellen wir das doch zunächst einmal fest. Lassen Sie die Listen durchkämmen.
Wir können dann ja immer nachher noch regulieren, wieviel Leute wir haben
wollen für unsere Meldung. Finden Sie nicht?«
»Gewiß.«
»Es ist nicht so eilig. Wir haben ungefähr vierzehn Tage Zeit. Das ist ja schon
eine ganz nette Spanne, um einiges zu erledigen, wie?«
»Gewiß.«
»Man kann außerdem dies und das vordatieren; Sachen, die ohnehin bestimmt
passieren werden, meine ich. Man braucht auch Namen von Leuten nicht mehr
aufzunehmen, die sehr bald als Abgänge verbucht werden müssen. Überflüssige
Arbeit. Gibt höchstens zwecklose Rückfragen.«
»Gewiß.«
»Zu viele dieser Leute werden wir ja nicht haben – ich meine so viele, daß es
auffällt ...«
»Wir brauchen sie nicht zu haben«, sagte Weber ruhig.
Er wußte, was Neubauer meinte, und Neubauer wußte, daß Weber ihn verstand.
»Unauffällig, natürlich«, sagte er. »Wir wollen es möglichst unauffällig
arrangieren. Ich kann mich da ja auf Sie verlassen ...«
Er stand auf und bohrte mit einer geradegebogenen Büroklammer vorsichtig am
Kopfende seiner Zigarre. Er hatte sie vorher zu hastig abgebissen, und sie zog
jetzt nicht mehr.
Man sollte gute Zigarren nie abbeißen; immer nur vorsichtig einbrechen oder
allenfalls mit einem scharfen Messerchen abschneiden. »Wie steht es mit der
Arbeit? Haben wir genug zu tun?«
»Das Kupferwerk ist durch die Bomben ziemlich außer Betrieb gesetzt. Wir lassen
die Leute dort aufräumen. Die übrigen Kommandos arbeiten fast alle wie früher.«
»Aufräumen? Gute Idee.« Die Zigarre zog wieder. »Dietz hat heute mit mir
darüber gesprochen. Straßen säubern, bombardierte Häuser abtragen; die Stadt
braucht Hunderte von Leuten. Es ist ein Notfall, und wir haben ja die
billigsten Arbeitskräfte. Dietz war dafür. Ich auch. Kein Grund dagegen, wie?«
»Nein.«
Neubauer stand am Fenster und schaute hinaus. »Da ist noch eine Anfrage
gekommen wegen des Lebensmittelbestandes. Wir sollen einsparen. Wie kann man
das machen?«
»Weniger Lebensmittel ausgeben«, erwiderte Weber lakonisch.
»Das geht nur bis zu einem gewissen Grade. Wenn die Leute zusammenklappen,
können sie nicht mehr arbeiten.«
»Wir können am Kleinen Lager sparen. Es ist voll von unnützen Fressern.
Weitere Kostenlose Bücher