E.M. Remarque
Stelle!«
»Lausig«, sagte
Clerfayt. »Wo liegen die andern?«
»Weber an vierter,
Marchetii an sechster, Frigerio an siebter Stelle. Conti ist ausgeschieden.«
»Wer liegt an
erster Stelle?«
»Sacchetti mit zehn
Minuten Vorsprung vor Lotti.«
»Und wir?«
»Neunzehn Minuten
Abstand. Habt keine Sorge – wer in Rom der erste ist, gewinnt nie das
Rennen. Jeder weiß das!«
Gabrielli, der
Rennleiter, stand plötzlich neben ihnen. »Gott hat das so eingerichtet!«
erklärte er. »Mutter des Herrn, süßes Blut Christi, du weißt es auch!« betete
er. »Strafe Sacchetti, weil er erster ist! Einen kleinen Benzinpumpenbruch,
weiter nichts! Und für Lotti auch gleich einen! Ihr Erzengel, beschützt ...«
»Wie kommen Sie
hierher?« fragte Clerfayt. »Warum warten Sie nicht auf uns in Brescia?«
»Fertig!« schrien
die Monteure.
»Los!«
»Warten! Sind Sie
verrückt?« begann der Rennleiter. »Ich fliege –« die Worte wurden ihm vom
Munde gerissen durch den Motor. Der Wagen raste weg, Menschen stürmten zur
Seite, und das Band der Straße, auf das sie geklebt waren, begann wieder seine
endlosen Verschlingungen. Was Lillian jetzt tun mag? dachte Clerfayt. Er hatte
ein Telegramm nach dem Depot erwartet, er wußte nicht warum, aber Telegramme
konnten verzögert werden, und vielleicht lag eines beim nächsten Depot. Dann
war wieder die Nacht da, die Lichter, die Menschen, deren Schreie er nicht
hörte im Motorbrüllen, als wären sie Figuren aus einem stummen Film, und
schließlich nur noch die Straße, diese Schlange, die um die Erde zu laufen
schien, und das mystische Tier, das unter der Motorkappe schrie.
18
D as Gespräch kam sehr
rasch. Lillian hat es erst in Stunden erwartet, einmal weil sie das
französische Telefon kannte, und dann, weil sie das Gefühl hatte, das
Sanatorium sei so weit weg, als läge es auf einem anderen Stern.
»Sanatorium Bella
Vista.«
Lillian wußte
nicht, ob sie die Stimme kannte. Es konnte sein, daß es immer noch Fräulein
Heger war.
»Herrn Hollmann,
bitte«, sagte sie und fühlte, wie ihr Herz plötzlich schlug.
»Einen Augenblick.«
Sie lauschte in das
fast unhörbare Summen des Drahtes. Es schien, daß man Hollmann suchen mußte.
Sie sah auf die Uhr; es war nach dem Abendessen im Sanatorium. Wozu bin ich so
erregt, als beschwöre ich einen Toten? dachte sie.
»Hollmann. Wer ist
dort?«
Sie erschrak, so
klar war die Stimme.
»Lillian«,
flüsterte sie.
»Wer?«
»Lillian
Dunkerque.«
Hollmann schwieg
einen Augenblick. »Lillian«, sagte er dann ungläubig. »Wo sind Sie?«
»In Paris. Ihr
Telegramm für Clerfayt kam hierher. Es wurde von seinem Hotel nachgeschickt.
Ich habe es aus Versehen geöffnet.«
»Sie sind nicht in
Brescia?«
»Nein«, sagte sie
und fühlte einen leichten Schmerz.
»Ich bin nicht in
Brescia.«
»Wollte Clerfayt es
nicht?«
»Nein, er wollte es
nicht.«
»Ich sitze am
Radio!« sagte Hollmann. »Sie auch, natürlich!«
»Ja, Hollmann.«
»Er fährt
großartig. Das Rennen ist noch ganz offen. Ich kenne ihn; er wartet ab. Er läßt
die andern ihre Maschinen kaputtfahren. Er wird nicht vor Mitternacht
aufdrehen; vielleicht sogar noch etwas später – nein, um Mitternacht,
denke ich. Es ist ein Rennen gegen die Uhr, das wissen Sie. Er weiß nie selbst,
wo er liegt, das ist das Zermürbende, er erfährt es nur, wenn er Benzin nimmt,
und was er hört, ist vielleicht schon überholt. Es ist ein Rennen ins Ungewisse –
verstehen Sie mich, Lillian?«
»Ja, Hollmann. Ein
Rennen ins Ungewisse. Wie geht es Ihnen?«
»Gut. Die Zeiten
sind phantastisch. Durchschnittsgeschwindigkeiten von hundertzwanzig und mehr
Kilometern. Dabei kommen viele von den großen Motoren jetzt erst in die langen
Geraden. Durchschnittsgeschwindigkeiten, Lillian,
Weitere Kostenlose Bücher