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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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sind aber­gläu­bisch.«
    Lil­li­an saß ei­ne
Wei­le in der klei­nen, dunklen Hal­le. »Wenn er so wei­ter­fährt, ist er mor­gen
früh wie­der in Bre­s­cia«, sag­te der Nacht­por­tier.
    »Das auch«,
er­wi­der­te Lil­li­an und stand auf. »Ich ge­he noch einen Kaf­fee trin­ken am
Bou­le­vard Mi­chel.«
    Sie wur­de dort
be­reits als Stamm­gast be­han­delt. Der Kell­ner wach­te über sie, Gérard war­te­te
auf sie, und ei­ne Run­de von Stu­den­ten hat­ten sich als ei­ne Art von Eh­ren­gar­de
für sie ge­bil­det.
    Gérard hat­te die
gu­te Ei­gen­schaft, im­mer hung­rig zu sein; das gab ihr Zeit nach­zu­den­ken, wäh­rend
er aß. Sie lieb­te es, auf die Stra­ße zu schau­en, wo das Le­ben mit hei­ßen und
trost­lo­sen Au­gen vor­über­trieb. Es war schwer, an ei­ne un­s­terb­li­che See­le für
je­den ein­zel­nen zu glau­ben, wenn man die­sen end­lo­sen Strom sah. Wo­hin wan­der­ten
die See­len spä­ter? Zer­fie­len sie wie die Kör­per? Oder geis­ter­ten sie noch um­her
in die­sen Aben­den der Wün­sche, der Lust und der Ver­zweif­lung, ver­we­send, voll
von laut­lo­ser Angst und Be­schwö­rung, blei­ben zu kön­nen, was sie wa­ren und nicht
zu Seelen­dün­ger für an­de­re zu wer­den, die ge­ra­de jetzt hin­ter den Tau­sen­den von
Fens­tern acht­los ge­zeugt wur­den?
    Gérard hat­te
end­lich auf­ge­hört zu es­sen. Das letz­te war ein aus­ge­zeich­ne­ter Pont-l'Évêque-Kä­se ge­we­sen. »Wie der
ro­he Vor­gang der Nah­rungs­auf­nah­me von ge­bra­te­nen Stücken von Tier­lei­chen und
halb­ver­wes­ten Milch­pro­duk­ten die poe­ti­schen Qua­li­tä­ten der See­le zu Hym­nen
an­regt!« er­klär­te er. »Im­mer wie­der ver­wun­der­lich und tröst­lich!«
    Lil­li­an lach­te.
»Von Bre­s­cia nach Bre­s­cia«, sag­te sie. »Ich ver­ste­he die­sen kla­ren und
ein­fa­chen Satz nicht; aber er scheint mir ziem­lich un­an­greif­bar.« Gérard trank
sei­nen Kaf­fee her­un­ter. »Er ist so­gar tief. Von Bre­s­cia nach Bre­s­cia! Ich wer­de
mei­nen nächs­ten Band Ge­dich­te so nen­nen. Sie sind schweig­sam heu­te nacht.«
    »Nicht schweig­sam.
Nur oh­ne Wor­te.«
    »Von Bre­s­cia bis
Bre­s­cia?«
    »Un­ge­fähr so.«
    Gérard nick­te und
roch an sei­nem Ko­gnak. »Es ist ein Satz, der im­mer bes­ser wird. Er führt zu
ei­ner Fül­le von Pla­ti­tü­den, die al­le ein­mal tief wie Berg­werks­schäch­te wa­ren
und es viel­leicht noch sind.«
    »Ich weiß noch
einen da­zu«, sag­te Lil­li­an: »Al­les ist das­sel­be.«
    Gérard setz­te sein
Glas nie­der. »Mit oder oh­ne Phan­ta­sie?«
    »Mit al­ler
Phan­ta­sie.«
    Er nick­te
er­leich­tert. »Ich hat­te einen Au­gen­blick Angst, daß Sie de­pri­miert sei­en und
ei­ne Wasch­kü­chen­dumm­heit aus­kra­men woll­ten.«
    »Ganz das
Ge­gen­teil – ei­ne äu­ßerst be­glücken­de Er­kennt­nis.«
    »Die Ein­zel­hei­ten
sind das­sel­be wie das Gan­ze; aber das Gan­ze ist mehr. Die­se Wein­fla­sche ist
eben­so hin­rei­ßend wie ein Raf­fa­el; in je­ner pick­li­gen Stu­den­tin dort geis­tert
zwei­fel­los auch ein Stück Me­dea und As­pa­sia – das Le­ben oh­ne Per­spek­ti­ve:
al­les ist gleich wich­tig und un­wich­tig; al­les ist Vor­der­grund; al­les Gott.
Mei­nen Sie das?« frag­te Gérard.
    Lil­li­an lä­chel­te.
»Wie schnell Sie sind!«
    »Zu schnell.«
Gérard zog ei­ne bit­te­re Gri­mas­se. »Zu schnell, um es zu er­le­ben.« Er nahm einen
großen Schluck Ko­gnak. »Wenn Sie das wirk­lich er­lebt ha­ben«, do­zier­te er, »dann
blei­ben Ih­nen nur drei Din­ge ...«
    »So vie­le?«
    »In ein
bud­dhis­ti­sches Klos­ter zu ge­hen, ver­rückt zu wer­den oder zu ster­ben, am
pas­sends­ten durch ei­ge­ne Hand. Die Selbst­aus­lö­schung ist, wie Sie wis­sen, ei­nes
der drei Din­ge, die wir den Tie­ren vor­aus­ha­ben.«
    Lil­li­an frag­te
nicht nach den bei­den an­de­ren. »Es gibt noch ein vier­tes«, sag­te sie. »Un­ser
Un­glück ist, zu glau­ben, daß wir einen An­spruch auf das Le­ben ha­ben. Wir ha­ben
kei­nen. Wenn man das er­kennt, wirk­lich er­kennt, wird viel bit­te­rer Ho­nig
plötz­lich süß.«
    Gérard sa­lu­tier­te
schwei­gend, bei­de Hän­de hoch­ge­streckt. »Wer nichts er­war­tet, wird

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