E.M. Remarque
Verzeichnis ist alt.«
»Die Polizei ändert
ihre Nummer nicht.«
An zehnter Stelle,
dachte Lillian. Da fährt er und fährt er immer noch, von Brescia bis Brescia,
und inzwischen ...
Sie hörte Gérard
sprechen. Der Portier kam mit Gläsern und einer Flasche Champagner. Der
Pfropfen knallte wie ein Schuß; der Portier hatte die Flasche zu freudig
geschüttelt. Gérard hörte erschreckt auf zu sprechen. »Nein, kein Schuß«,
erklärte er dann und hängte auf. »Ich glaube, Sie brauchen etwas zu trinken«,
sagte Lillian. »Ich wußte im Augenblick nichts anderes als dies; der Portier
hat seit heute abend darauf gewartet die Flasche zu öffnen. Es ist wohl kein
Sakrileg.«
Gérard schüttelte
den Kopf und trank gierig. Er blickte zum Telefon. Lillian sah, daß er Angst
hatte, die Polizei könne herausfinden, woher telefoniert worden sei. »Sie
glaubten, jemand habe hier geschossen«, sagte er. »Es war der Kork. Warum ist
das Tragische oft noch so schrecklich komisch?«
Lillian gab ihm die
Flasche zum Einschenken.
»Ich muß gehen«,
sagte er.
»Diesmal müssen Sie
gehen. Gute Nacht, Gérard.«
Er sah auf die
Flasche. »Ich kann sie mitnehmen, wenn Sie sie nicht mehr wollen.«
»Nein, Gérard. Eins
oder das andere.«
Sie sah ihn rasch
durch die Tür verschwinden. Jetzt kommt die Nacht, allein, dachte sie und gab
die Flasche dem Portier. »Trinken Sie das. Ist das Radio noch oben?«
»Selbstverständlich,
Mademoiselle.«
Sie stieg die
Treppe hinauf. Das Radio glänzte mit Chrom und Glas aus dem Dunkeln. Sie machte
Licht und wartete eine Zeitlang am Fenster, ob ein Polizeiwagen vorbeikäme. Sie
sah nichts. Langsam zog sie sich aus. Sie überlegte, ob sie ihre Verbündeten,
die Kleider, über Nacht um sich herumhängen sollte; aber sie tat es nicht. Die
Zeit für diese Hilfen war vorbei, dachte sie. Und die Gelegenheit auch. Aber
sie ließ eine Lampe brennen und nahm Schlaftabletten.
Sie erwachte, als
würde sie irgendwoher herausgeschleudert. Durch die Vorhänge stach die Sonne
mit ihren Strahlen gegen die übernächtige, elektrische Birne. Das Telefon
schrillte. Die Polizei, dachte sie und hob den Hörer.
Es war Clerfayt.
»Wir sind gerade in Brescia angekommen!«
»Ja, in Brescia.«
Sie schüttelte die Reste eines schon in Vergessenheit stürzenden Traumes ab.
»Du bist durchgekommen!«
»Als Sechster.«
Clerfayt lachte.
»Als Sechster. Das
ist wunderbar.«
»Es ist Unsinn. Ich
komme morgen zurück. Ich muß jetzt schlafen. Torriani schläft schon hier im
Stuhl.«
»Ja, schlafe. Es
ist gut, daß du angerufen hast.«
»Gehst du mit mir
zur Riviera?«
»Ja, Geliebter.«
»Warte auf mich.«
»Ja, Geliebter.«
»Fahr nicht weg,
bevor ich komme.«
Wohin sollte ich
denn schon fahren? dachte sie. Nach Brescia? »Ich warte auf dich«, sagte sie.
Mittags ging sie die Rue
de Seine entlang. Die Straße war wie immer. Sie suchte in den Spalten der
Zeitungen. Sie fand nichts. Es war zu unbedeutend für eine Zeitungsnotiz, daß
ein Mensch gestorben war.
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I ch
habe
das Haus lange vor dem Krieg gekauft«, sagte Clerfayt. »Damals konnte man die
halbe Riviera für nichts kaufen. Ich habe nie darin gewohnt, ich habe nur ein
paar Sachen hineingestellt. Wie du siehst, ist es im scheußlichsten Stil
gebaut, aber man kann die Stuckornamente abschlagen und es modernisieren und
einrichten.«
»Warum? Willst du
wirklich hier wohnen?«
»Warum nicht?«
Lillian blickte aus
dem halbdunklen Zimmer in den dunkelnden Garten mit seinen Kieswegen. Man
konnte von hier das Meer nicht sehen. »Aber Clerfayt!« sagte sie lächelnd.
»Vielleicht wenn du fünfundsechzig bist! Nicht früher. Nach einem
arbeitsreichen Leben in Toulouse. Dann kannst du hier ein gut französisches
Rentnerleben führen, wenn du willst, mit einem Diner sonntags im
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