E.M. Remarque
das
Abenteuer geblieben? Wo war Clerfayt geblieben? Was hatte ihn verwandelt? Warum
lachten sie nicht darüber? Was sonst blieb ihnen übrig? »Wir können es
wenigstens versuchen«, sagte Clerfayt. »Wenn es nicht geht, verkaufen wir das
Haus.«
Ich habe keine Zeit
mehr, etwas zu versuchen, dachte Lillian. Und ich habe keine Zeit mehr zu
Experimenten mit häuslichem Glück. Es macht mich zu traurig. Ich muß fort! Ich
habe nicht einmal Zeit mehr zu solchen Gesprächen. Das alles habe ich viel
besser gekannt, oben im Sanatorium, bei Boris, und auch da bin ich geflohen.
Sie wurde plötzlich
ruhig. Sie wußte noch nicht, was sie tun würde, aber daß sie fliehen konnte,
machte alles weniger unerträglich. Sie fürchtete sich nicht vor Unglück, sie
hatte zu lange damit und dadurch gelebt – sie fürchtete sich auch nicht
vor Glück, wie so viele, die glauben, es zu suchen – sie fürchtete sich
vor dem Gefängnis der Mittelmäßigkeit.
Am
Abend
war Feuerwerk über dem Meer. Die Nacht war klar und sehr hoch, und da der
Horizont vom Meer und vom Himmel gebildet wurde, stiegen und fielen die
Raketen, als würden sie abgeschossen in die Unendlichkeit und stürzten jenseits
der Erde in den Raum, der kein Raum mehr war, da er keine Grenzen zu haben
schien. Lillian erinnerte sich an das letzte Feuerwerk, das sie gesehen hatte.
Es war auf der Bergerhütte am Abend vor ihrer Flucht gewesen. Stand sie jetzt
nicht wieder vor einer Flucht? Die Entscheidungen meines Lebens scheinen sich
unter Feuerwerken zu vollziehen, dachte sie ironisch. Oder war alles, was
bisher geschehen war, vielleicht nichts anderes als nur das? Ein Feuerwerk, das
nun zu verblassen und zu Asche und Staub zu werden begann? Sie sah sich um.
Noch nicht, dachte sie angstvoll, noch nicht jetzt! Gab es nicht immer vor dem
Ende wenigstens noch ein letztes, großes Aufflammen, bei dem alles verschwendet
wurde zu einem großen Finale?
»Wir haben noch
nicht gespielt«, sagte Clerfayt.
»Hast du es je
getan? Im Spielsaal, meine ich.«
»Nie.«
»Dann solltest du
es versuchen. Du hast dann noch die Hand der Unschuld und müsstest gewinnen.
Wollen wir hinfahren? Oder bist du müde? Es ist schon zwei Uhr.«
»Früher Morgen! Wer
ist da müde?«
Sie fuhren langsam
durch die beglänzte Nacht. »Endlich ist es warm«, sagte Lillian.
»Wir können hier
bleiben, bis es in Paris auch Sommer ist.«
Sie lehnte sich an
ihn. »Warum leben Menschen nicht für immer, Clerfayt? Ohne Tod?«
Er legte den Arm um
ihre Schultern. »Ja, warum nicht? Warum werden wir alt? Warum können wir nicht
leben, als wären wir dreißig, bis wir achtzig sind und dann plötzlich sterben?«
Sie lachte. »Ich
bin noch keine dreißig.«
»Das ist wahr«,
sagte Clerfayt und ließ sie los. »Ich vergesse das immer wieder. Ich habe das
Gefühl, du wärest in drei Monaten mindestens fünf Jahre älter geworden, so hast
du dich verändert. Du bist fünf Jahre schöner geworden. Und zehn Jahre
gefährlicher.«
Sie
spielten
zuerst in den großen Sälen; dann, als diese leer wurden, in den kleineren, in
denen die Einsätze höher waren. Clerfayt begann zu gewinnen. Er spielte anfangs
Trente et quarante und ging dann zu einem Roulettetisch, an dem das Maximum
höher war als an den anderen. »Bleib hinter mir stehen«, sagte er zu Lillian.
»Du bringst Glück.«
Clerfayt spielte
die Zwölf, die Zweiundzwanzig und die Neun. Er verlor allmählich, bis er nur
noch genug Spielmarken hatte, um noch einmal das Maximum zu setzen. Er setzte
es auf Rot. Rot gewann. Er zog den halben Gewinn ab und ließ den Rest auf Rot.
Rot gewann wieder. Er ließ das Maximum stehen. Rot gewann noch zweimal. Vor
Clerfayt häuften sich jetzt die Spielmarken. Andere Spieler im Saal wurden
aufmerksam. Der Tisch war jetzt besetzt. Lillian sah auch
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