Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
Vom Netzwerk:
»Dies ist Ih­re Nacht, Sie se­hen es doch. Sie kommt
nie­mals wie­der!«
    »Die Nacht ist
vor­bei. Wenn wir die Vor­hän­ge der Fens­ter auf­zö­gen, wür­de der blas­se Mor­gen uns
al­le zu Ge­spens­tern ma­chen. Gu­te Nacht, Fio­la. Spie­len Sie wei­ter! Ei­ner spielt
im­mer wei­ter.«
    Als
sie mit
Cler­fa­yt hin­aus­kam, er­schi­en die Ri­vie­ra so, wie sie war, be­vor die Tou­ris­ten
sie ent­deck­ten. Der Him­mel schim­mer­te mes­sing­gelb und blau und war­te­te auf die
Son­ne; das Meer war weiß am Ho­ri­zont und durch­sich­tig wie Aqua­ma­rin. Ein paar
Fi­scher­boo­te stan­den drau­ßen mit gel­ben und ro­ten Se­geln. Der Strand war still;
nir­gend­wo auf den Stra­ßen fuhr ein Au­to. Der Wind roch nach Lan­gus­ten und Meer.
    Lil­li­an be­griff nicht,
wo­her auf ein­mal der Streit kam. Sie hör­te Cler­fa­yt, und es dau­er­te ei­ne Wei­le,
bis sie ihn ver­stand. Sei­ne Ei­fer­sucht auf Wol­kow brach of­fen aus. »Was kann
ich tun?« hör­te sie ihn sa­gen. »Ich muß ge­gen einen Schat­ten kämp­fen, ge­gen
je­mand, den ich nicht fas­sen kann, je­mand, der nicht da ist und der da­durch um
so mehr da ist, der stär­ker ist als ich, weil er nicht da ist, der oh­ne Feh­ler
ist, weil er nicht da ist, der ver­klärt wird, weil er nicht da ist, der den
ent­setz­li­chen Vor­teil der Ab­we­sen­heit hat, die ihm tau­send Waf­fen ge­gen mich
gibt, wäh­rend ich da bin und du mich siehst, wie ich bin, so wie jetzt, au­ßer
mir, un­ge­recht mei­net­we­gen, klein­lich, al­bern – und da­ge­gen steht das
große, idea­le Bild, das nichts falsch ma­chen kann, weil es nichts tut, weil es
schweigt und man nichts da­ge­gen tun kann, so wie man ge­gen die Er­in­ne­rung an
einen To­ten nichts tun kann!«
    Lil­li­an lehn­te
er­schöpft ih­ren Kopf zu­rück. Was re­de­te er da nur wie­der für einen ent­setz­lich
männ­li­chen Un­sinn? »Ist es nicht so?« frag­te Cler­fa­yt und schlug auf das
Steu­er­rad. »Sag, ob es nicht so ist! Ich ha­be ge­spürt, warum du mir aus­weichst!
Ich weiß, daß du mich des­we­gen nicht hei­ra­ten willst! Du willst zu­rück! Das ist
es! Du willst zu­rück!«
    Sie hob den Kopf.
Was sag­te er da? Sie sah Cler­fa­yt an. »Was sagst du da?«
    »Ist es nicht wahr?
Hast du es nicht so­gar jetzt ge­dacht?«
    »Ich ha­be jetzt nur
ge­dacht, wie furcht­bar dumm die klügs­ten Men­schen sein kön­nen. Trei­be mich doch
nicht mit Ge­walt weg!«
    »Ich dich? Ich tue
al­les, um dich zu hal­ten!«
    »Glaubst du, so
kannst du mich hal­ten? Mein Gott!«
    Lil­li­an ließ den
Kopf wie­der zu­rück­sin­ken. »Du brauchst nicht ei­fer­süch­tig zu sein. Bo­ris wür­de
mich nicht ein­mal wol­len, wenn ich zu­rück­käme.«
    »Das hat nichts
da­mit zu tun. Du möch­test zu­rück!«
    »Trei­be mich nicht
zu­rück! O Gott, bist du denn blind ge­wor­den?«
    »Ja«, sag­te
Cler­fa­yt. »Wahr­schein­lich! Wahr­schein­lich«, wie­der­hol­te er er­staunt. »Aber ich
kann nichts mehr da­ge­gen tun. Ich kann nicht mehr her­aus.«
    Sie
fuh­ren
schwei­gend die Cor­ni­che ent­lang in der Rich­tung nach An­ti­bes. Ein Esels­fuhr­werk
kam ih­nen ent­ge­gen. Ein halb­wüch­si­ges Mäd­chen saß dar­auf und sang. Lil­li­an sah
es in ih­rer Er­schöp­fung mit bren­nen­dem Neid. Sie dach­te an die Grei­sin im
Ka­si­no, die noch Jah­re le­ben wür­de, und sie sah das la­chen­de Mäd­chen, und dann
dach­te sie an sich, und plötz­lich kam wie­der ei­ner der Au­gen­bli­cke, wo al­les
un­ver­ständ­lich war und al­le Tricks nicht hal­fen, wo das Elend sie über­wäl­tig­te
und al­les in ohn­mäch­ti­gem Auf­ruhr in ihr schrie: Warum? Warum ge­ra­de ich? Was
ha­be ich ge­tan, daß ge­ra­de ich ge­trof­fen wer­den muß­te?
    Sie sah mit
ge­blen­de­ten Au­gen in die zau­ber­haf­te Land­schaft. Der star­ke Ge­ruch von Blü­ten
weh­te über die Stra­ße. »Warum weinst du?« frag­te Cler­fa­yt är­ger­lich. »Du hast
wahr­haf­tig kei­nen Grund zum Wei­nen.«
    »Nein, das ha­be ich
nicht.«
    »Du be­trügst mich
mit ei­nem Schat­ten«, sag­te er bit­ter. »Und du weinst!«
    Ja, dach­te sie,
aber der Schat­ten heißt nicht Bo­ris. Soll ich ihm sa­gen, wie er heißt? Aber
dann wird er mich in ein Kran­ken­haus ein­sper­ren und vor der Tür die

Weitere Kostenlose Bücher