E.M. Remarque
»Dies ist Ihre Nacht, Sie sehen es doch. Sie kommt
niemals wieder!«
»Die Nacht ist
vorbei. Wenn wir die Vorhänge der Fenster aufzögen, würde der blasse Morgen uns
alle zu Gespenstern machen. Gute Nacht, Fiola. Spielen Sie weiter! Einer spielt
immer weiter.«
Als
sie mit
Clerfayt hinauskam, erschien die Riviera so, wie sie war, bevor die Touristen
sie entdeckten. Der Himmel schimmerte messinggelb und blau und wartete auf die
Sonne; das Meer war weiß am Horizont und durchsichtig wie Aquamarin. Ein paar
Fischerboote standen draußen mit gelben und roten Segeln. Der Strand war still;
nirgendwo auf den Straßen fuhr ein Auto. Der Wind roch nach Langusten und Meer.
Lillian begriff nicht,
woher auf einmal der Streit kam. Sie hörte Clerfayt, und es dauerte eine Weile,
bis sie ihn verstand. Seine Eifersucht auf Wolkow brach offen aus. »Was kann
ich tun?« hörte sie ihn sagen. »Ich muß gegen einen Schatten kämpfen, gegen
jemand, den ich nicht fassen kann, jemand, der nicht da ist und der dadurch um
so mehr da ist, der stärker ist als ich, weil er nicht da ist, der ohne Fehler
ist, weil er nicht da ist, der verklärt wird, weil er nicht da ist, der den
entsetzlichen Vorteil der Abwesenheit hat, die ihm tausend Waffen gegen mich
gibt, während ich da bin und du mich siehst, wie ich bin, so wie jetzt, außer
mir, ungerecht meinetwegen, kleinlich, albern – und dagegen steht das
große, ideale Bild, das nichts falsch machen kann, weil es nichts tut, weil es
schweigt und man nichts dagegen tun kann, so wie man gegen die Erinnerung an
einen Toten nichts tun kann!«
Lillian lehnte
erschöpft ihren Kopf zurück. Was redete er da nur wieder für einen entsetzlich
männlichen Unsinn? »Ist es nicht so?« fragte Clerfayt und schlug auf das
Steuerrad. »Sag, ob es nicht so ist! Ich habe gespürt, warum du mir ausweichst!
Ich weiß, daß du mich deswegen nicht heiraten willst! Du willst zurück! Das ist
es! Du willst zurück!«
Sie hob den Kopf.
Was sagte er da? Sie sah Clerfayt an. »Was sagst du da?«
»Ist es nicht wahr?
Hast du es nicht sogar jetzt gedacht?«
»Ich habe jetzt nur
gedacht, wie furchtbar dumm die klügsten Menschen sein können. Treibe mich doch
nicht mit Gewalt weg!«
»Ich dich? Ich tue
alles, um dich zu halten!«
»Glaubst du, so
kannst du mich halten? Mein Gott!«
Lillian ließ den
Kopf wieder zurücksinken. »Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Boris würde
mich nicht einmal wollen, wenn ich zurückkäme.«
»Das hat nichts
damit zu tun. Du möchtest zurück!«
»Treibe mich nicht
zurück! O Gott, bist du denn blind geworden?«
»Ja«, sagte
Clerfayt. »Wahrscheinlich! Wahrscheinlich«, wiederholte er erstaunt. »Aber ich
kann nichts mehr dagegen tun. Ich kann nicht mehr heraus.«
Sie
fuhren
schweigend die Corniche entlang in der Richtung nach Antibes. Ein Eselsfuhrwerk
kam ihnen entgegen. Ein halbwüchsiges Mädchen saß darauf und sang. Lillian sah
es in ihrer Erschöpfung mit brennendem Neid. Sie dachte an die Greisin im
Kasino, die noch Jahre leben würde, und sie sah das lachende Mädchen, und dann
dachte sie an sich, und plötzlich kam wieder einer der Augenblicke, wo alles
unverständlich war und alle Tricks nicht halfen, wo das Elend sie überwältigte
und alles in ohnmächtigem Aufruhr in ihr schrie: Warum? Warum gerade ich? Was
habe ich getan, daß gerade ich getroffen werden mußte?
Sie sah mit
geblendeten Augen in die zauberhafte Landschaft. Der starke Geruch von Blüten
wehte über die Straße. »Warum weinst du?« fragte Clerfayt ärgerlich. »Du hast
wahrhaftig keinen Grund zum Weinen.«
»Nein, das habe ich
nicht.«
»Du betrügst mich
mit einem Schatten«, sagte er bitter. »Und du weinst!«
Ja, dachte sie,
aber der Schatten heißt nicht Boris. Soll ich ihm sagen, wie er heißt? Aber
dann wird er mich in ein Krankenhaus einsperren und vor der Tür die
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