E.M. Remarque
Wachen der
Liebe aufstellen, damit ich zu Tode gepflegt werde, hinter Milchglasfenstern
und im Geruch von Desinfektionsmitteln, gutem Willen und dem faden Gestank
menschlicher Abfälle.
Sie blickte auf
Clerfayts Gesicht. Nein, dachte sie, nicht das Gefängnis dieser Liebe, gegen
das es keinen Protest, sondern nur Flucht gibt! Das Feuerwerk war zu Ende; man
sollte nicht in der Asche herumstochern.
Der Wagen fuhr in
den Hof des Hotels ein. Ein Engländer im Bademantel ging bereits zum Schwimmen hinunter.
Clerfayt half Lillian aus dem Wagen, ohne sie anzusehen. »Du wirst nur noch
wenig von mir sehen«, sagte er. »Morgen beginnt das Training.« Er übertrieb;
das Rennen war ein Rennen durch die Stadt, für das ein Training fast unmöglich
war. Man konnte die Straßen nur für das Rennen selbst absperren; sonst mußten
sich die Fahrer hauptsächlich darauf beschränken, die Strecke abzufahren und zu
memorieren, wie sie schalten wollten.
Lillian sah wie
durch einen langen Korridor, was noch zwischen ihnen geschehen konnte. Es war
ein Korridor, der enger und enger wurde, ohne Ausweg. Sie konnte ihn nicht
gehen. Andere, die Zeit zu verschwenden hatten, konnten das. Sie nicht. In der
Liebe gab es kein Zurück; man konnte nie neu beginnen. Was geschehen war, blieb
im Blut, Clerfayt konnte mit ihr nie wieder so werden wie früher. Er konnte es
mit jeder anderen Frau, aber nicht mit ihr. Und was zwischen ihnen gewesen war,
war ebenso wenig zurückzuholen wie die Zeit. Kein Opfer, keine Bereitschaft und
kein guter Wille waren dazu fähig, das war das finstere, unerbittliche Gesetz.
Lillian kannte es; deshalb wollte sie fort. Der Rest ihres Lebens war ihr
ganzes Leben – im Leben Clerfayts war er nur ein sehr kleiner Teil. Es kam
deshalb nur auf sie an – nicht auf Clerfayt. Das Verhältnis war zu
ungleich; das, was für sein Dasein eine Episode sein würde, obschon er es jetzt
nicht glaubte, war für sie das Ende. Sie konnte es nicht opfern, das wußte sie
jetzt. Sie fühlte keine Reue und keine Trauer, sogar dazu hatte sie zu wenig Zeit,
aber sie fühlte eine Klarheit, die der des Morgens glich. Und mit dieser
Klarheit schwand der letzte Nebel der Missverständnisse. Sie spürte das kleine
und scharfe Glück der Entscheidung. Und – sonderbar – damit kam die
Zärtlichkeit zurück –, sie war jetzt gefahrlos.
»Nichts von dem,
was du behauptet hast, ist wahr, Clerfayt«, sagte sie mit veränderter Stimme.
»Nichts! Vergiß es! Es ist nicht wahr! Nichts!«
Sie sah, daß sein
Gesicht sich aufhellte. »Du bleibst bei mir?« fragte er rasch.
»Ja«, sagte sie.
Sie wollte keine Auseinandersetzungen mehr für die letzten Tage.
»Du verstehst
endlich, was ich will.«
»Ja, ich verstehe
es«, erwiderte sie und lächelte.
»Du wirst mich
heiraten?«
Er spürte ihr
Zögern nicht. »Ja«, sagte sie. Auch das war jetzt gleich.
Er starrte sie an.
»Wann?«
»Wann du willst. Im
Herbst.«
Er schwieg einen
Augenblick. »Endlich!« sagte er dann. »Endlich! Du wirst es nie bereuen,
Lillian!«
»Ich weiß es.«
Er war mit einem
Schlage verwandelt. »Du bist müde! Du mußt todmüde sein! Was haben wir nur
gemacht? Du mußt schlafen, Lillian! Komm, ich bringe dich hinauf.«
»Und du?«
»Ich werde dem
Engländer folgen und später die Straßen abfahren, bevor der Verkehr beginnt. Es
ist nur Routine, ich kenne die Strecke.« Er stand an ihrer Tür. »Ich Idiot! Ich
habe mehr als die Hälfte von dem verloren, was ich gewonnen hatte! Aus Wut!«
»Ich habe
gewonnen.«
Lillian warf die
Tasche mit den Jetons auf den Tisch.
»Ich habe sie nicht
gezählt.«
»Wir werden morgen
wieder gewinnen. Gehst du mit mir zum Arzt?«
»Ja. Jetzt muß ich
schlafen.«
»Schlaf bis zum
Abend. Dann essen wir etwas und gehen wieder schlafen. Ich liebe
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