E.M. Remarque
Glück.«
»Es gibt
verschiedene Arten von Glück. Und man sagt manches.« Clerfayt griff in die Tasche
seines Mantels.
»Hier ist der
Kirsch, den Sie dem Hausknecht versprochen haben. Und hier die Flasche Wodka
für Sie. Gute Nacht.«
3
A ls
Clerfayt
erwachte, sah er einen verhangenen Himmel und hörte den Wind an den Fenstern
rütteln.
»Föhn«, sagte der
Kellner. »Der warme Wind, der müde macht. Man fühlt ihn immer schon vorher in
den Knochen. Die Bruchstellen schmerzen.«
»Sind Sie
Skiläufer?«
»Nein. Bei mir sind
es Kriegsverwundungen.«
»Als Schweizer?«
»Ich bin
Österreicher«, sagte der Kellner. »Mit dem Skilaufen ist es bei mir aus. Ich
habe nur noch einen Fuß. Aber Sie glauben nicht, wie der, der mir fehlt, bei
diesem Wetter weh tut.«
»Wie ist der
Schnee?«
»Unter uns gesagt:
klebrig wie Honig. Nach dem Hotel-Bulletin: gut, Pulverschnee in den höheren
Lagen.«
Clerfayt beschloß,
das Skilaufen zu verschieben. Er war ohnehin noch müde; der Kellner schien
recht zu haben mit dem Wind. Er hatte auch Kopfschmerzen. Der Kognak gestern
nacht, dachte er. Warum hatte er weitergetrunken, nachdem er das sonderbare
Mädchen mit seiner Mischung aus Weltschmerz und Lebensgier zum Sanatorium
gebracht hatte? Merkwürdige Menschen hier oben – Menschen ohne Haut. Ich
war auch einmal so ähnlich, dachte er. Vor tausend Jahren. Habe mich gründlich
geändert. Mußte es. Aber was war geblieben? Was, außer etwas Zynismus, Ironie
und falscher Überlegenheit? Und was kam noch? Wie lange konnte er noch Rennen
fahren? War er nicht schon überfällig? Und was kam dann? Was erwartete ihn
noch? Ein Posten als Autovertreter in irgendeiner Provinzstadt – und das
langsam herandämmernde Alter mit den endlosen Abenden, den schwindenden
Kräften, der Erinnerung, die schmerzte, der Resignation, der zermürbte, der
Schablone und dem Phantom eines Daseins, das sich in schalen Wiederholungen erschöpfte?
Der Weltschmerz
steckt an, dachte er und stand auf. Mitte des Lebens, ohne Ziel und ohne Halt.
Er zog seinen Mantel an und entdeckte darin einen schwarzen Samthandschuh. Er
hatte ihn gestern auf dem Tisch gefunden, als er allein in die Bar zurückgekommen
war. Lillian Dunkerque mußte ihn vergessen haben. Er steckte ihn in die Tasche,
um ihn später im Sanatorium abzugeben.
Er
war eine
Stunde durch den Schnee gegangen, als er, abseits der Straße, in der Nähe des
Waldes, ein kleines, quadratisches Gebäude entdeckte, das eine runde Kuppel
hatte, aus der schwarzer Rauch quoll. Er blieb stehen. Eine ekelhafte
Erinnerung stieg in ihm auf an etwas, das er hatte vergessen wollen und für das
er einige Jahre sinnlosen Lebens verschwendet hatte, um es zu vergessen. »Was
ist denn das da?« fragte er einen jungen Burschen, der vor einem Laden Schnee
wegschaufelte.
»Da drüben? Das
Krematorium, mein Herr.«
Clerfayt schluckte.
Er hatte sich also nicht geirrt.
»Hier?« sagte er.
»Wozu habt ihr denn hier ein Krematorium?«
»Für die Hospitäler
natürlich. Die Toten.«
»Dazu brauchen sie
ein Krematorium? Sterben denn so viele?«
Der Bursche lehnte
sich auf seine Schaufel. »Jetzt nicht mehr so viele, mein Herr. Aber
früher – vor dem Kriege, vor dem ersten Kriege, meine ich, und auch
nachher – da gab es hier viele Tote. Wir haben hier lange Winter, und im
Winter kann man die Erde schwer aufhacken. Alles ist tief zu Stein gefroren.
Ein Krematorium ist da viel praktischer. Wir haben unseres hier schon fast
dreißig Jahre.«
»Dreißig Jahre?
Dann hattet ihr es also schon, bevor Krematorien wirklich modern wurden, was?
Lange vor dem Massenbetrieb.«
Der Bursche
verstand nicht, was Clerfayt meinte.
»Wir waren hier
immer die ersten für etwas Praktisches, mein Herr. Es ist auch
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