E.M. Remarque
billiger. Die Leute
wollen jetzt nicht mehr so viel Geld ausgeben für den Leichentransport. Früher
war das anders. Da ließen viele Familien ihre Toten in versiegelten Zinksärgen
in die Heimat kommen. Das waren schönere Zeiten als heute!«
»Das glaube ich.«
»Und ob! Sie müssen
einmal meinen Vater davon erzählen hören! Er hat die ganze Welt so gesehen!«
»Wie?«
»Als
Leichenbegleiter«, sagte der Bursche, erstaunt über soviel Unkenntnis. »Die
Leute hatten damals noch Pietät, mein Herr. Sie ließen ihre Toten nicht allein
reisen. Besonders nicht nach Übersee. Mein Vater kennt zum Beispiel Südamerika
wie seine Tasche. Die Leute dort waren reich und wollten ihre Toten immer
herübergebracht haben. Das war, bevor die Flugzeuge populär wurden. Der
Transport geschah mit der Bahn und auf Dampfern, würdig, wie es sich gehört.
Das dauerte natürlich Wochen. Das Essen, mein Herr, das es da gab für den
Leichenbegleiter! Mein Vater hat die Menüs gesammelt und einbinden lassen. Auf
einer Reise – mit einer vornehmen chilenischen Dame – hat er einmal
über dreißig Pfund zugenommen. Alles war frei, auch das Bier, und außerdem gab
es ein schönes Geschenk, wenn der Sarg abgeliefert wurde. Dann« – der
Bursche blickte unfreundlich zu dem kleinen, quadratischen Gebäude hinüber, aus
dem der Rauch nur noch leicht wehte – »dann kam das Krematorium. Anfangs
war es nur für Leute ohne Religion, aber jetzt ist es sehr modern geworden.«
»Das ist es«,
bestätigte Clerfayt. »Nicht nur hier.«
Der Bursche nickte.
»Die Leute haben keinen Respekt mehr vor dem Tode, sagte mein Vater. Die beiden
Weltkriege haben das verursacht; es sind zu viele Menschen umgekommen. Immer
gleich Millionen. Das hat seinen Beruf ruiniert, sagt mein Vater. Jetzt lassen
selbst die Angehörigen in Übersee ihre Toten einäschern, und die Urne mit der
Asche wird per Flugzeug nach Südamerika geschickt.«
»Ohne Begleiter?«
»Ohne Begleiter,
mein Herr.«
Der Rauch aus dem
Krematorium hatte aufgehört. Clerfayt holte ein Paket Zigaretten hervor und
hielt es dem redseligen Burschen hin. »Sie hätten die Zigarren sehen sollen,
die mein Vater mitgebracht hat«, sagte der, während er eine Zigarette
herausnahm und sie betrachtete. »Havannas, mein Herr, das Feinste der Welt.
Kisten voll! Sie waren ihm zu schade zum Rauchen; er hat sie immer an die
Hotels hier verkauft.«
»Was macht Ihr
Vater jetzt?«
»Jetzt haben wir
das Blumengeschäft hier.« Der Bursche zeigte auf den Laden, vor dem sie
standen. »Wenn Sie irgend etwas brauchen, mein Herr, wir sind billiger als die
Räuber im Dorf. Und wir haben manchmal herrliche Sachen. Gerade heute morgen
ist eine frische Sendung gekommen. Brauchen Sie nichts?«
Clerfayt dachte
nach. Blumen? Warum nicht? Er konnte sie der rebellischen jungen Belgierin mit
der russischen Mutter ins Sanatorium schicken. Es würde sie aufheitern. Und
wenn ihr Freund, der hochmütige Russe, es erfahren würde, um so besser. Er trat
in den Laden.
Eine dünne Klingel
schrillte. Hinter einem Vorhang kam ein Mann hervor, der eine Kreuzung zwischen
einem Kellner und einem Küster sein konnte. Er trug einen dunklen Anzug und war
überraschend klein. Clerfayt sah ihn neugierig an. Er hatte ihn sich muskulöser
vorgestellt; aber dann fiel ihm ein, daß der Mann die Särge ja nicht selbst
hatte schleppen müssen.
Der Laden sah
kümmerlich aus, und die Blumen waren durchschnittlich bis auf einige, die sehr
schön waren und gar nicht hineinpassten. Clerfayt sah eine Vase mit weißem
Flieder und einen langen Zweig flacher, weißer Orchideen. »Taufrisch!« sagte
der kleine Mann. »Heute erst angekommen. Diese Orchidee ist ein Staatsexemplar.
Hält sich
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