E.M. Remarque
verdeckt manchmal vom Gewühl und dann wieder sichtbar, wie
sein Partner am Himmel zwischen Wolken.
»Nein«, erwiderte
sie. »Ich bleibe hier sitzen.«
Die Skiläufer
rüsteten zum Aufbruch. »Fahren Sie nicht mit?« fragte Dolores Clerfayt. Er war
im Skianzug.
»Ich denke nicht
daran. Das ist mir viel zu gefährlich.«
Dolores lachte. »Er
meint es wirklich«, sagte Hollmann. »Gefährlich ist immer, was man nicht ganz
beherrscht.«
»Und wenn man es
beherrscht?« fragte Lillian.
»Dann ist es noch
gefährlicher«, sagte Clerfayt. »Dann wird man leichtsinnig.«
Sie gingen hinaus,
um die Abfahrt zu sehen. Hollmann, Charles Ney, Maria Savini und Dolores
schlüpften im Durcheinander des allgemeinen Aufbruchs durch; Lillian ging ohne
Eile mit Clerfayt an den blassen Augen des Professors vorbei.
Sie gingen über den
festgetretenen Pfad zur Abfahrtsstelle. Der feurige Rauch der Fackeln warf
Reflexe auf den Schnee und die Gesichter. Die ersten Skiläufer schossen den
mondbeleuchteten Hang hinunter, die Fackeln hoch in den Händen. Sie wurden
rasch zu glühenden Punkten und verschwanden hinter anderen, tieferen Hängen.
Lillian blickte den
Läufern nach, wie sie die Hänge hinunterstürzten, als stürzten sie sich ins
Leben; so wie die Raketen, die sich, als sie im Fluge den höchsten Punkt
erreicht hatten, in einem Regen von Sternen auf die Erde zurückwarfen.
»Wann fahren wir
morgen?« fragte sie Clerfayt.
Er blickte auf. Er
begriff sie sofort. »Wann Sie wollen«, erwiderte er. »Zu jeder Zeit. Auch nach
dem Dunkelwerden. Auch früher. Auch später, wenn Sie nicht fertig werden.«
»Das ist nicht nötig.
Ich kann schnell packen. Wann wollten Sie fahren?«
»Gegen vier Uhr.«
»Ich kann um vier
fertig sein.«
»Gut. Ich hole Sie
ab.«
Clerfayt blickte
wieder den Skiläufern nach. »Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen«,
sagte Lillian. »Sie können mich in Paris absetzen. Ich fahre mit wie –«
Sie suchte nach einem Wort. »– Wie jemand, der an der Straße steht und bis
zur nächsten Stadt mitfährt?« fragte Clerfayt.
»Ja – genau
so.«
»Gut.«
Lillian spürte, daß
sie zitterte. Sie beobachtete Clerfayt. Er fragte nichts weiter. Ich habe ihm
nichts zu erklären, dachte sie. Er glaubt mir. Was für mich die Entscheidung
meines Lebens ist, ist für ihn nur ein Entschluß, wie man ihn täglich fasst.
Vielleicht hält er mich auch nicht für besonders krank; man muß wohl einen
Unfall beim Rennen haben, damit er das tut. Sie fühlte zu ihrem Erstaunen, wie
plötzlich eine lange getragene Last von ihren Schultern glitt. Hier war der
erste Mensch in Jahren, der sich nicht um ihre Krankheit kümmerte. Es machte
sie auf eine sonderbare Weise glücklich. Ihr war, als hätte sie damit eine
früher unüberschreitbare Grenze passiert. Die Krankheit, die immer wie ein
trübes Fenster zwischen ihr und der Welt gestanden hatte, war auf einmal nicht
mehr da – dafür lag atemraubend klar und weit, in vollem Mondlicht, das
Leben unter ihr mit Wolken und Tälern und Schicksalen, und sie war ihm
zugehörig, nicht mehr ausgeschlossen, sie stand wie die andern, die Gesunden,
an der großen Abfahrtsstelle, eine brennende, knisternde Fackel in der Hand,
bereit zum Sturz hinunter und hinein. Was hatte Clerfayt einmal gesagt? Das
Erstrebenswerteste im Leben sei, seinen eigenen Tod wählen zu können, und es
sei es deshalb, weil er einen dann nicht erschlagen könne wie eine Ratte, oder
einen auslöschen und erwürgen, wenn man nicht bereit sei. Sie war bereit. Sie
zitterte, aber sie war bereit.
6
W olkow fand sie am
nächsten Morgen über ihren Koffern. »Du packst, Duscha? Schon so früh?«
»Ja Boris, ich
packe.«
»Wozu? Du wirst
doch alles in ein paar Tagen wieder auspacken.«
Er hatte sie
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