E.M. Remarque
daß du gehst.«
Sie senkte den
Kopf. »Du hast recht. Schlage weiter.«
Schlag weiter,
dachte er. Wenn man nur einen Augenblick zuckte, sagten sie: Schlage weiter,
als wollte man selbst sie verlassen. Ihre Logik reichte nie weiter als bis zur
letzten Antwort, alles davor wurde sofort abgetan, als sei es nicht passiert.
Nicht das, was den Schrei provozierte, sondern nur der Schrei war maßgebend.
»Ich schlage dich nicht«, sagte er.
»Du willst, daß ich
bei dir bleibe.«
»Ich möchte, daß du
hier bleibst. Das ist ein Unterschied.«
Ich lüge auch
bereits, dachte er. Natürlich will ich nur, daß sie bei mir bleibt, sie ist das
Einzige, Letzte, was ich habe, der Planet Erde ist für mich zusammengeschrumpft
auf dieses Dorf, ich kann seine Einwohner zählen, ich kenne fast jeden davon,
das ist meine Welt geworden, und sie ist das, was ich von dieser Welt will, ich
kann sie nicht verlieren, ich darf sie nicht verlieren, ich habe sie schon
verloren. »Ich möchte nicht, daß du dein Leben fortwirfst wie wertloses Geld«,
sagte er.
»Das sind Worte,
Boris. Wenn jemand im Gefängnis die Wahl hat, ein Jahr frei zu leben und dann
zu sterben, oder aber im Gefängnis zu verkommen – was soll er tun?«
»Du bist nicht im
Gefängnis, Duscha! Du hast eine entsetzlich falsche Vorstellung von dem, was
unten Leben ist.«
»Das weiß ich. Ich
kenne es ja nicht. Ich kenne nur den Teil, der Krieg, Betrug und Elend war, und
wenn der Rest auch voll von Enttäuschungen sein wird, so kann es doch nicht
schlimmer sein als das, was ich kenne und von dem ich weiß, daß es nicht alles
sein kann. Es muß noch etwas anderes da sein, das andere, das ich nicht kenne,
das, was mich unruhig macht und mich ruft« – sie hielt inne –, »Lass
uns nicht mehr sprechen, Boris, es ist alles falsch, was ich sage, es wird falsch,
während ich es sage, die Worte sind falsch und banal und sentimental und
treffen es nicht, und sie werden zu Messern, und ich will dich nicht kränken,
aber jedes Wort muß eine Kränkung sein, wenn ich ehrlich sein will, und selbst
wenn ich glaube, ich sei ehrlich, bin ich es immer noch nicht, siehst du denn
nicht, daß ich es selbst nicht weiß?«
Sie blickte ihn an
mit einer Mischung von ohnmächtig gewordener Liebe, Mitleid und Feindseligkeit.
Warum zwang er sie, noch einmal alles das zu wiederholen, was sie sich
tausendmal vorgesagt hatte und schon vergessen wollte?
»Lass Clerfayt
abfahren, und du wirst in wenigen Tagen einsehen, wie falsch es gewesen wäre,
diesem Rattenfänger zu folgen«, sagte Wolkow.
»Boris«, erwiderte
Lillian hoffnungslos. »Es ist nicht Clerfayt. Muß es denn ein anderer Mann
sein?«
Er antwortete
nicht. Wozu sage ich ihr das, dachte er. Ich bin ein Narr, ich tue alles, um
sie weiter fortzujagen! Warum sage ich ihr nicht lächelnd, daß sie recht hat?
Warum benütze ich nicht den alten Trick? Weiß ich nicht, daß verliert, wer
festhalten will, und daß man dem nachläuft, der lächelnd loslässt? Habe ich das
vergessen? »Nein«, sagte er. »Es muß nicht ein anderer Mann sein. Aber wenn es
nicht so ist, warum fragst du dann nicht mich, ob ich mit dir kommen will?«
»Dich?«
Falsch, dachte er,
wieder falsch! Wozu dränge ich mich auf? Sie will der Krankheit
entfliehen – wozu sollte sie da einen Kranken mitnehmen? Der letzte Mann,
mit dem sie reisen möchte, bin ich!
»Ich will nichts
mitnehmen, Boris«, erwiderte sie. »Ich liebe dich; aber ich will nichts
mitnehmen.«
»Du willst alles
vergessen?«
Wieder falsch,
dachte er verzweifelt. »Das weiß ich nicht«, sagte Lillian gedrückt. »Ich will
nichts von hier mitnehmen. Ich kann es nicht. Quäle mich nicht!«
Er stand einen
Augenblick sehr still. Er wußte, daß er nicht mehr antworten sollte; aber zur
selben Zeit schien es ihm entsetzlich wichtig, ihr zu erklären, daß sie beide
nicht mehr lange zu leben hätten, und daß das, was sie beim Leben jetzt
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