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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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ver­min­der­te
son­der­ba­rer­wei­se auch den Schmerz um Bo­ris, da die Frei­heit der Wahl auf ein­mal
von ihr ge­nom­men zu sein schi­en. Sie fühl­te sich wie ein Sol­dat, der nach
lan­gem War­ten einen Marsch­be­fehl er­hal­ten hat. Es war nichts mehr zu tun als
ihm zu fol­gen. Das Neue hat­te be­reits Be­sitz von ihr ge­nom­men, so wie beim
Sol­da­ten der Marsch­be­fehl be­reits Teil der Uni­form und des Kamp­fes – und
viel­leicht auch des En­des war.
    »Ma­chen Sie kei­ne
Schwie­rig­kei­ten«, pol­ter­te der Dalai La­ma. »Hier gibt es doch kaum ein an­de­res
Sa­na­to­ri­um – wo wol­len Sie denn schon hin? In ei­ne Pen­si­on?«
    Er stand da, der
große, gut­mü­ti­ge Gott des Sa­na­to­ri­ums, und wur­de un­ge­dul­dig, weil die­se
wi­der­spens­ti­ge Kat­ze ihn bei sei­nem Wort nahm mit der Ent­las­sung, um ihn zu
zwin­gen, wie er glaub­te, sie zu­rück­zu­neh­men. »Die paar Re­geln sind doch nur in
Ih­rem In­ter­es­se«, rum­pel­te es. »Wo kämen wir hin, wenn hier An­ar­chie herrsch­te.
Und sonst? Wir sind doch wirk­lich hier kein Ge­fäng­nis. Oder fin­den Sie?«
    Lil­li­an lä­chel­te.
»Nicht mehr«, sag­te sie. »Und ich bin kein Pa­ti­ent mehr. Sie kön­nen wie­der zu
mir spre­chen wie zu ei­ner Frau. Nicht mehr wie zu ei­nem Kin­de oder ei­nem
Sträf­ling.«
    Sie sah noch, wie
der Dalai La­ma er­neut ro­sig an­lief. Dann war sie drau­ßen.
    Sie pack­te ih­re
Kof­fer fer­tig. Heu­te abend, dach­te sie, wer­de ich die Ber­ge ver­las­sen ha­ben.
Zum ers­ten Ma­le in Jah­ren spür­te sie ei­ne Er­war­tung, hin­ter der ei­ne Er­fül­lung
stand – nicht mehr die Er­war­tung ei­ner Fa­ta Mor­ga­na, die Jah­re weit
ent­fernt war und im­mer wie­der zu­rück­rück­te, son­dern die der nächs­ten Stun­den.
Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft hin­gen in ei­ner zit­tern­den Ba­lan­ce, und das ers­te,
was sie fühl­te, war nicht Al­lein­sein, son­dern ei­ne ge­spann­te, ho­he Ein­sam­keit.
Sie nahm nichts mit, und sie wuß­te nicht, wo­hin sie ging.
    Sie fürch­te­te sich
da­vor, daß Wol­kow noch ein­mal käme, und sie sehn­te sich da­nach, ihn noch ein­mal
zu se­hen. Sie schloß ih­re Kof­fer, und ih­re Au­gen wa­ren blind vor Trä­nen. Sie
war­te­te, bis sie wie­der ru­hig ge­wor­den war. Sie be­zahl­te ih­re Rech­nung und
schlug zwei An­grif­fe des Kro­ko­dils ab – den letz­ten im Na­men des Dalai
La­ma. Sie ver­ab­schie­de­te sich von Do­lo­res Pal­mer, Ma­ria Sa­vi­ni und Charles Ney,
die sie an­starr­ten, wie die Ja­pa­ner im Krie­ge ih­re Selbst­mord­flie­ger an­ge­se­hen
ha­ben moch­ten. Sie ging in ihr Zim­mer zu­rück und war­te­te. Dann hör­te sie ein
Krat­zen und Bel­len vor der Tür. Sie öff­ne­te, und der Schä­fer­hund Wol­kows kam
her­ein. Das Tier lieb­te sie und war oft al­lein zu ihr ge­kom­men. Sie glaub­te,
Bo­ris ha­be es ge­schickt und wer­de selbst auch noch kom­men. Aber er kam nicht.
Da­für er­schi­en die Zim­mer­schwes­ter und er­zähl­te ihr, die An­ge­hö­ri­gen Ma­nue­las
wür­den die To­te in ei­nem Zink­sarg nach Bo­gotá schi­cken.
    »Wann?« frag­te
Lil­li­an, um et­was zu fra­gen.
    »Heu­te noch. Sie
wol­len so rasch wie mög­lich rei­sen. Drau­ßen steht schon der Schlit­ten. Sonst
war­tet man doch im­mer bis nachts; aber der Sarg soll noch ein Schiff er­rei­chen.
Die An­ge­hö­ri­gen rei­sen mit dem Flug­zeug.«
    »Ich muß jetzt
ge­hen«, mur­mel­te Lil­li­an. Sie hat­te den Wa­gen Cler­fa­yts ge­hört. »Le­ben Sie
wohl.«
    Sie schloß die Tür
hin­ter sich und ging den wei­ßen Kor­ri­dor ent­lang wie ein Dieb auf der Flucht.
Sie hoff­te, un­be­merkt durch die Hal­le zu kom­men, aber das Kro­ko­dil war­te­te
ne­ben dem Auf­zug.
    »Der Pro­fes­sor läßt
Ih­nen noch ein­mal sa­gen, daß Sie hier blei­ben kön­nen. Und hier blei­ben
soll­ten.«
    »Dan­ke«, sag­te
Lil­li­an und ging wei­ter.
    »Sei­en Sie doch
ver­nünf­tig, Miss Dun­ker­que! Sie ken­nen Ih­re Si­tua­ti­on nicht. Sie dür­fen jetzt
nicht nach un­ten. Sie wür­den das Jahr nicht über­le­ben.«
    »Ge­ra­de des­halb.«
    Lil­li­an ging
wei­ter. An den Bridge­ti­schen ho­ben sich ein paar Köp­fe; sonst war die Hal­le
leer. Die Pa­ti­en­ten hat­ten

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