E.M. Remarque
die Schneeketten abnehmen, glaube ich. Wie ist es weiter
unten?« fragte er den Tankwärter.
»Zackig.«
»Was?«
Clerfayt sah den
Jungen an. Er trug einen roten Sweater, eine neue Lederjacke, eine Stahlbrille
und hatte Pickel und abstehende Ohren. »Wir kennen uns doch! Herbert oder
Hellmut oder ...«
»Hubert.«
Der Junge zeigte
auf ein Holzschild, das zwischen den Tanksäulen hing: H. Göring, Garage und
Automechaniker.
»Ist das Schild
nicht neu?« fragte Clerfayt.
»Funkelnagelneu!«
»Warum hast du denn
deinen Vornamen nicht ausschreiben lassen?«
»Dies ist
praktischer. Viele glauben so, ich hieße Hermann.«
»Man sollte
wahrhaftig glauben, daß du deinen Namen eher wechseln möchtest als ihn so groß
anzumalen.«
»Da wäre ich schön
dumm«, erklärte der Junge. »Jetzt, wo die deutschen Wagen allmählich wieder
kommen! Was meinen Sie, was da für Trinkgelder abfallen! Nein, mein Herr, mein
Name ist eine Goldquelle.«
Clerfayt sah auf
die Lederjacke. »Stammt die schon daher?«
»Halb. Aber bevor
die Saison vorbei ist, kommen noch ein Paar Skistiefel und ein Mantel raus, das
ist sicher.«
»Vielleicht
verrechnest du dich auch. Von manchen wirst du gerade wegen deines Namens kein
Trinkgeld bekommen.«
Der Junge grinste
und warf die Ketten in den Wagen. »Nicht von denen, die sich schon wieder
leisten können, zum Wintersport zu fahren, mein Herr. Außerdem kann mir auch so
nichts passieren – die einen geben, weil sie froh sind, daß er weg ist,
und die andern, weil sie schöne Erinnerungen haben, aber geben tun fast alle.
Ich habe meine Erfahrungen, seit das Schild da hängt. Benzin, mein Herr?«
»Benzin«, sagte
Clerfayt, »brauche ich siebzig Liter. Aber ich werde sie nicht von dir nehmen,
sondern von jemand, der weniger geschäftstüchtig ist als du. Es ist Zeit, daß
dein Weltbild etwas ins Wanken gerät, Hubert.«
Eine Stunde später war
der Schnee hinter ihnen. Bäche schossen seitlich neben der Straße einher, von
den Häuserdächern tropfte es, und die Stämme der Bäume glitzerten vor Nässe. In
den Fenstern spiegelte sich rot der Abend. Kinder spielten auf den Straßen. Die
Äcker waren schwarz und feucht, und auf den Wiesen sah man gelb und graugrün
das vorjährige Gras. »Wollen wir irgendwo Station machen?« fragte Clerfayt.
»Noch nicht.«
»Haben Sie Angst,
daß der Schnee uns noch einholt?«
Lillian nickte.
»Ich möchte ihn nie wieder sehen.«
»Nicht vor nächstem
Winter.«
Lillian antwortete
nicht. Nächster Winter, dachte sie. Das war wie Sirius oder die Plejaden. Sie
würde ihn nie sehen.
»Wollen wir nicht
doch etwas trinken?« fragte Clerfayt. »Kaffee mit Kirsch? Wir haben noch ein
ganzes Stück zu fahren.«
»Ja«, sagte
Lillian. »Wann sind wir am Lago Maggiore?«
»In einigen
Stunden. Spät abends.«
Clerfayt hielt den
Wagen vor einem Wirtshaus an. Sie gingen in die Gaststube. Eine Kellnerin
machte Licht. An den Wänden hingen Drucke von röhrenden Hirschen und balzenden
Auerhähnen. »Sind Sie hungrig?« fragte Clerfayt. »Was haben Sie mittags
gegessen?«
»Nichts.«
»Das dachte ich
mir.« Er wandte sich an die Kellnerin.
»Was haben Sie zu
essen?«
»Salami, Landjäger,
Schüblig. Die Schüblig sind heiß.«
»Zwei Schüblig und
ein paar Stücke von dem dunklen Brot dort. Dazu Butter und offenen Wein. Haben
Sie Fendant?«
»Fendant und
Valpolicella.«
»Fendant. Und für
Sie?«
»Einen Pflümli,
wenn's nichts ausmacht«, sagte die Kellnerin.
»Es macht nichts
aus.«
Lillian saß in der
Ecke neben dem Fenster. Sie hörte abwesend das Gespräch zwischen Clerfayt und
der Kellnerin. Das rötliche Licht der Lampe sammelte sich in den Flaschen auf
der Theke zu grünen und roten Reflexen. Vor dem Fenster ragten die Bäume des
Dorfes schwarz in den hohen,
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