E.M. Remarque
Lillians Kleider
hinein. Sie saß auf dem Bett und lachte. »Es tut mir leid hier wegzugehen«,
sagte sie. »Ich habe es alles sehr geliebt. Aber ich liebe ohne Bedauern.
Verstehst du das?«
Clerfayt hob den
Kopf. »Ich fürchte, ja. Du bedauerst nicht, etwas zu verlassen.«
Sie lachte wieder,
die Beine langausgestreckt, ein Glas Wein in der Hand. »Es spielt keine Rolle
mehr. Ich bin aus dem Sanatorium weggegangen – seitdem kann ich weggehen,
wo ich will.«
So wird sie
vielleicht auch von mir weggehen, dachte Clerfayt. Wie man ein Hotel wechselt.
»Hier ist der Degen eines deutschen Majors«, sagte er. »Er muß ihn in der
Aufregung vergessen haben, ein fluchwürdiges Verhalten für einen deutschen
Offizier. Ich werde ihn im Koffer lassen. Im übrigen bist du auf eine charmante
Weise betrunken. Zum Glück habe ich schon vor zwei Tagen für dich ein Zimmer im
Ritz bestellt. Ohne das wäre es heute schwierig, dort am Concierge
vorüberzukommen.«
Lillian griff nach
dem Degen des Majors und salutierte sitzend. »Du gefällst mir sehr. Warum nenne
ich dich nie beim Vornamen?«
»Niemand tut das?«
»Das wäre ein Grund
es zu tun.«
»Fertig«, sagte
Clerfayt. »Willst du den Säbel mitnehmen?«
»Lass ihn hier.«
Clerfayt steckte
die Schlüssel ein und gab Lillian ihren Mantel. »Bin ich zu dünn?« fragte sie.
»Nein; ich glaube,
du hast ein paar Pfund zugenommen.«
»Das ist das
einzige, worauf es ankommt«, murmelte sie.
Sie ließen die
Koffer in ein Taxi bringen, das hinter ihnen herfuhr. »Liegt mein Zimmer im
Ritz nach der Place Vendôme zu?« fragte Lillian.
»Ja. Nicht nach der
Rue Cambon.«
»Wo wohntest du,
als du hier warst im Kriege?«
»Nach der Rue
Cambon, nachdem ich aus dem Gefangenenlager zurückgekommen war. Es war ein
gutes Versteck; niemand erwartete, daß man dort unterkriechen würde. Mein
Bruder wohnte damals an der Place Vendôme auf der deutschen Seite. Wir sind
Elsässer. Mein Bruder hat einen deutschen, ich einen französischen Vater.«
»Konnte dein Bruder
dich nicht schützen?«
Clerfayt lachte.
»Er ahnte nicht, daß ich da war, und er hätte mich am liebsten in Sibirien
gewußt. So weit weg wie möglich. Siehst du den Himmel? Es wird Morgen. Hörst du
die Vögel? Man hört sie nur um diese Zeit in den Städten. Naturfreunde müssen
in den Nachtklubs durchhalten, um Drosseln hören zu können auf dem Weg nach
Hause.«
Sie bogen in die
Place Vendôme ein. Der weite, graue Platz lag sehr still da. Unter den Wolken
schimmerte der frühe Tag in starkem Gelb. »Wenn man sieht, wie wunderbar die
Menschen früher gebaut haben, sollte man annehmen, daß sie glücklicher gewesen
sind als wir«, sagte Lillian. »Glaubst du das?«
»Nein«, erwiderte
Clerfayt. Er ließ den Wagen vor dem Eingang auslaufen. »Ich bin in diesem
Augenblick glücklich«, sagte er. »Ganz gleich, ob wir wissen, was das ist oder
nicht. Ich bin glücklich in diesem Augenblick, in dieser Stille, auf diesem
Platz, mit dir. Und wenn du ausgeschlafen hast, fahren wir ab. In kleinen
Etappen nach dem Süden. Nach Sizilien, zu dem Rennen, von dem ich dir schon
erzählt habe: der Targa Florio.«
12
D ie hundertacht
Kilometer lange Strecke der Targa Florio mit ihren fast vierzehnhundert Kurven
war jeden Tag einige Stunden zum Training abgesperrt. Da die Fahrer auch
zwischen den Sperrstunden die Strecke langsam abfuhren, um die Kurven, das
Gefälle und den Straßenzustand zu memorieren, hing das Grollen der schweren
Motoren von Dämmerung zu Dämmerung über der weißen Landstraße und der weißen
Landschaft.
Clerfayts zweiter
Fahrer war Alfredo Torriani, ein vierundzwanzig Jahre alter Italiener. Beide
waren fast den ganzen Tag draußen. Abends kamen sie verbrannt, hungrig und
durstig zurück.
Clerfayt
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