E.M. Remarque
wurden Konzerte für Träume, und aus
Räumen, die voll gestopft waren mit Gigolos, Neureichen, zweifelhaften,
törichten Frauen und Menschen, die nicht nach Hause gingen, weil sie nicht
wußten, was sie dort tun sollten oder die auf ein Abenteuer oder ein Geschäft
rechneten, wurde das funkelnde Bacchanal des Daseins, weil sie es so wollte und
weil sie deswegen gekommen war.
Das ist es, dachte
Clerfayt, das ist es, was sie anders macht als alle die, die hier herumsitzen.
Die andern wollen ein Abenteuer, ein Geschäft, ein bißchen harmonischen Lärm,
um ihre Leere auszufüllen – sie aber ist dem Leben auf der Spur, immer nur
dem Leben, und sie jagt es wie eine besessene Jägerin den weißen Hirsch und das
Einhorn der Fabel, sie jagt es so unablässig, daß es ansteckend wirkt, sie hat
keine Hemmungen, sie schaut nicht zur Seite, und während man sich abwechselnd alt
und verbraucht oder kinderjung in ihrer Nähe fühlt, tauchen aus vergessenen
Jahren auf einmal Gesichter auf, Wünsche, Schatten von Träumen und, über allem,
wie ein Blitz im Zwielicht, das verschollene Gefühl von der Einzigartigkeit des
Lebens.
Die Zigeuner hingen
um den Tisch herum, gebückt, mit wachen Plüschaugen, und spielten. Lillian
hörte hingerissen zu. Für sie war das alles wirklich, dachte Clerfayt, es war
die Pußta, die einsame Klage der Nacht, die Einsamkeit, das erste Feuer, an dem
der Mensch Schutz gesucht hatte, und selbst das älteste, abgegriffenste,
sentimentalste Lied war für sie ein Lied der Menschheit, Trauer des
Haltenwollens und nicht Haltenkönnens. Lydia Morelli mochte recht haben, es war
provinziell, wenn man so wollte, aber hol's der Teufel, wenn man sie nicht
gerade deswegen anbeten mußte.
»Ich glaube, ich
habe zuviel getrunken«, sagte er.
»Was ist zuviel?«
»Wenn man sich
selbst nicht mehr kennt.«
»Dann will ich
immer zuviel trinken. Ich liebe mich selbst nicht.«
Sie fürchtet sich
vor nichts, dachte Clerfayt. So wie diese Bude ihr Abbild des Lebens ist, so
hat jede Banalität für sie den Reiz, den sie hatte, als sie das erste Mal
ausgesprochen wurde und noch voll Geist war. Es ist nicht auszuhalten! Sie muß
sterben, das weiß sie, aber sie hat es in sich aufgenommen wie ein anderer
Morphium, und das verwandelt alles für sie, sie fürchtet nichts, nichts ist
Blasphemie, nichts Banalität, und – zur Hölle – warum sitze ich hier
und fühle ein gelindes Grauen und stürze mich nicht auch in diesen
unbedenklichen Wirbel hinein?
»Ich bete dich an«,
sagte er.
»Sag das nicht zu
oft«, erwiderte sie. »Dazu muß man sehr unabhängig sein.«
»Bei dir nicht.«
»Sag es immer«,
sagte sie. »Ich brauche es wie Atem und Wein.«
Clerfayt lachte. »Beides
stimmt. Aber wer fragt danach, ob etwas stimmt! Wohin gehen wir jetzt?«
»Ins Hotel. Ich
will ausziehen.«
Clerfayt beschloß,
sich über nichts mehr zu wundern. »Gut. Gehen wir packen.« sagte er.
»Meine Sachen sind
schon gepackt.«
»Wohin willst du
ziehen?«
»In ein anderes
Hotel. Seit zwei Tagen ruft um diese Zeit jemand bei mir an. Eine Frau, die mir
erzählt, ich solle zurückgehen, wohin ich gehöre – und noch einige andere
Sachen dazu.«
Clerfayt sah sie
an. »Hast du dem Nachtportier nicht gesagt, das Telefon nicht durchzustellen?«
»Ja! Aber es
gelingt ihr durchzukommen. Gestern hat sie ihm gesagt, sie sei meine Mutter.
Sie hat einen Akzent, sie ist keine Französin.«
Lydia Morelli,
dachte Clerfayt. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Wozu? Ist das Ritz
voll?«
»Nein.«
»Gut. Onkel Gaston
wird ohnmächtig werden, wenn er hört, wo ich morgen wohnen werde.«
Lillian hatte nicht
gepackt. Clerfayt lieh vom Nachtportier einen riesigen Schrankkoffer, den ein
deutscher Major beim Rückzug hatte stehen lassen, und packte
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