E.M. Remarque
lächelte.
»An dieser Stelle soll eine alte Römervilla gestanden haben, und es soll große
Feste gegeben haben mit schönen Römerinnen und Fackeln und dem Leuchten des
Feuer speienden Ätna. Glauben Sie, daß die alten Römer dem Geheimnis näher
gekommen sind?«
»Welchem?«
»Dem, warum wir
leben?«
»Leben wir?«
»Vielleicht nicht,
weil wir fragen. Verzeihen Sie, daß ich darüber rede. Italiener sind
melancholische Menschen; sie sehen aus wie das Gegenteil, aber sie sind es
nicht.«
»Wer ist es?« sagte
Lillian. »Nicht einmal Stallknechte sind dauernd vergnügt.«
Sie hörte den Wagen
Clerfayts kommen und lächelte. »Man erzählt«, sagte Levalli, »daß die letzte
römische Besitzerin dieser Villa ihre Liebhaber morgens töten ließ. Sie war
eine Romantikerin und konnte die Entzauberung nach der Illusion der Nacht nicht
ertragen.«
»Wie umständlich«,
erwiderte Lillian. »Konnte sie sie nicht einfach vor dem Morgengrauen
wegschicken? Oder selbst weggehen?«
Levalli bot ihr
seinen Arm. »Weggehen ist nicht immer das einfachste – wenn man sich
selbst mitnimmt.«
»Es ist immer das
einfachste, wenn man weiß, daß Besitzenwollen einen nur limitiert – und
daß man nichts halten kann; nicht einmal sich selbst ...«
Sie gingen der
Musik entgegen. »Sie wollen nichts besitzen?« fragte Levalli.
»Ich will zuviel
besitzen«, erwiderte Lillian. »Deshalb nichts. Es ist fast dasselbe.«
»Fast!« Er küßte
ihre Hand. »Ich bringe Sie jetzt nach drüben, wo die Zypressen stehen. Wir
haben hinter ihnen einen gläsernen Boden zum Tanzen angelegt, der von innen
erleuchtet ist. Ich habe das in Gartenlokalen an der Riviera gesehen und
nachgemacht. Und da kommen auch Ihre Tänzer – halb Neapel, Palermo und
Rom.«
»Man kann Zuschauer
sein oder mitspielen«, sagte Levalli zu Clerfayt. »Oder beides. Ich ziehe vor,
Zuschauer zu sein. Wer beides tut, tut beides unvollkommen.«
Sie saßen auf der
Terrasse und sahen die Frauen vor den Zypressen auf dem leuchtenden Glasparkett
tanzen. Lillian tanzte mit dem Prinzen Fiola.
»Eine Flamme«,
sagte Levalli zu Clerfayt. »Sehen Sie nur, wie sie tanzt! Kennen Sie die Frauen
der pompejanischen Mosaiken? Die Schönheit der Frauen in der Kunst ist, daß das
Zufällige verloren gegangen und die Schönheit allein geblieben ist. Haben Sie
die Bilder aus dem minoischen Palast in Kreta gesehen? Die Ägypterinnen aus der
Zeit Echnatons? Die Frauen mit den langen Augen und den schmalen Gesichtern,
die verderbten Tänzerinnen und die jungen Königinnen? In ihnen allen brennt die
Flamme. Sehen Sie diese Tanzfläche an! Auf dem sanften künstlichen Feuer der
Hölle, das aus Glas, Elektrizität und Technik dort angezündet ist, scheinen die
Frauen zu schweben, – deshalb habe ich es einrichten lassen. Das Licht der
künstlichen Hölle von unten, das unter den Kleidern zu brennen und an den
Kleidern hochzuzüngeln scheint, und das kalte Licht des Mondes, das mit dem der
Sterne auf ihren Schläfen und Schultern liegt, ist eine Allegorie, über die man
lachen oder ein paar Minuten träumen kann. Sie sind schön, diese Frauen, die
uns davon abhalten. Halbgötter zu werden, indem sie uns zu Familienvätern,
Bürgern, Verdienern machen, nachdem sie uns durch die Illusion, uns zu Göttern
zu machen, eingefangen haben. Sind sie nicht schön?«
»Sie sind schön,
Levalli.«
»In jeder steckt
bereits Circe. Die Ironie ist, daß sie es nie selbst glauben. Sie haben noch
die Flamme ihrer Jugend, während sie dort tanzen, aber hinter ihnen tanzt, fast
unsichtbar, bereits der Schatten der Bürgerlichkeit mit, mit den zwanzig Pfund
Gewicht, die sie zunehmen werden, der Langeweile der Familie, dem
Weitere Kostenlose Bücher