E.M. Remarque
Möchtest du nicht noch etwas herumfahren?«
»Wohin?«
»In jede Straße und
in jedes Lokal, von denen du jemals gehört hast. Du bist herrlich
angezogen – es war verschwendet an Onkel Gastons Bewerber. Wir müssen zum
mindesten dieses Kleid ausführen – selbst wenn du nicht willst. Man hat
Kleidern gegenüber Verpflichtungen.«
»Gut. Lass uns
langsam fahren. Durch viele Straßen. Alle ohne Schnee. Mit Blumenverkäuferinnen
an den Ecken. Lass uns einen Wagen voll Veilchen mitnehmen.«
Clerfayt holte
Giuseppe aus dem Gewirr am Quai und wartete vor der Tür des Hotels. Das
Restaurant nebenan begann zu schließen.
»Der schmachtende
Liebhaber«, sagte jemand neben ihm. »Bist du nicht zu alt für solche Rollen?«
Es war Lydia
Morelli. Sie war vor ihrem Begleiter aus dem Restaurant auf die Straße
getreten.
»Unbedingt«,
erwiderte er. »Das ist gerade der Reiz!«
Lydia warf das Ende
einer weißen Pelzstola über ihre Schulter. »Eine neue Rolle! Ziemlich
provinziell, mein Lieber. Mit einem jungen Gänschen!«
»Welch ein
Kompliment«, erwiderte Clerfayt. »Wenn du so etwas sagst, heißt das, das sie
faszinierend sein muß.«
»Faszinierend! Dies
dumme Ding mit ihrem Zimmerchen hier und ihren drei Balenciaga-Kleidern!«
»Drei? Ich dachte,
sie hätte dreißig. So verschieden sind sie jedes Mal, wenn sie sie trägt.«
Clerfayt lachte. »Lydia! Seit wann spionierst du wie ein Detektiv nach Gänschen
und dummen Dingern? Hatten wir uns das nicht längst abgewöhnt?«
Lydia wollte
ärgerlich werden; aber ihr Begleiter kam aus der Tür. Sie nahm seinen Arm wie
eine Waffe und ging an Clerfayt vorbei.
Lillian kam ein
paar Minuten später. »Soeben hat mir jemand erzählt, daß du eine faszinierende
Person wärest«, sagte Clerfayt. »Es wird Zeit, dich zu verstecken.«
»War es langweilig
zu warten?«
»Nein. Wenn man
lange auf nichts gewartet hat, macht Warten einen zehn Jahre jünger. Zwanzig
Jahre jünger. Ich glaubte, ich würde nie mehr auf etwas warten.«
»Ich habe immer auf
etwas gewartet.« Lillian sah einer Frau in cremefarbenen Spitzen nach, die mit
einem Kahlkopf das Restaurant verließ; sie trug eine Kette aus nußgroßen
Diamanten. »Wie das blitzt!« sagte sie.
Clerfayt erwiderte
nichts. Schmuck war ein gefährliches Gebiet; wenn sie darauf verfiel, gab es
Leute, die besser als er befähigt waren, ihre Wünsche zu erfüllen.
»Nicht für mich«,
sagte Lillian lachend, als hätte sie seine Gedanken erraten.
»Ist das ein neues
Kleid?« fragte er.
»Ja. Es ist heute
gekommen.«
»Wieviel hast du
jetzt?«
»Acht mit diesem.
Warum?«
Lydia Morelli
schien richtig informiert zu sein. Daß sie drei gesagt hatte, gehörte dazu.
»Onkel Gaston ist
entsetzt«, sagte Lillian. »Ich habe ihm die Rechnungen geschickt. Und nun lass
uns in den besten Nachtklub fahren, den es gibt. Du hast recht, Kleider machen
Ansprüche!«
»Noch in einen anderen?«
fragte Clerfayt. Es war vier Uhr nachts.
»Noch in einen«,
sagte Lillian. »Oder bist du müde?«
Er wußte, daß er
sie nicht fragen konnte, ob sie müde sei. »Noch nicht«, sagte er. »Gefällt es
dir?«
»Es ist wunderbar.«
»Gut, dann fahren
wir in einen anderen Klub. Einen mit Zigeunern.«
Montmartre und
Montparnasse bebten noch im späten Nachkriegsfieber. Die bunten Höhlen der
Kabaretts und Nachtklubs schwammen im Nebel als wären sie unter Wasser. Es war
alles die übliche, endlose Wiederholung, das Klischee, und Clerfayt hätte sich
ohne Lillian fürchterlich gelangweilt – aber für sie war es neu, sie
empfand es nicht so, wie es war oder wie es wirkte, sondern so, wie sie es
sehen wollte und sah. Aus den Nepplokalen wurden für sie Feuer des Lebens, aus
Orchestern, die auf Trinkgelder warteten,
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