E.M. Remarque
hatte
Lillian verboten, beim Training dabeizusein. Er wollte nicht, daß sie wie eine
der Frauen und Freundinnen der Fahrer würde, die mit Stoppuhren und Papieren in
den Ständen saßen, die von den Fabriken für Reparaturen, Benzin und
Reifenwechsel aufgebaut waren, und sich nützlich machten. Er hatte sie statt
dessen mit einem Freunde bekannt gemacht, der ein Haus am Meer besaß, und sie
dort hingebracht. Der Mann hieß Levalli und war der Besitzer einer
Thunfisch-Fangflotte. Clerfayt hatte ihn nicht ohne Überlegung ausgesucht:
Levalli war ein Ästhet, kahlköpfig, beleibt und homosexuell.
Lillian lag
tagsüber am Meer oder im Garten, der Levallis Villa umgab. Der Garten war
verwildert, romantisch und voll von Marmorstatuen wie ein Gedicht Eichendorffs.
Lillian hatte nie den Wunsch, Clerfayt fahren zu sehen; aber sie liebte das
leise Grollen der Motoren, das bis in die Stille der Orangenhaine drang. Der
Wind brachte es herüber, zusammen mit dem schweren Duft der Blüten; es
vereinigte sich mit dem Rauschen des Meeres zu einem aufregenden Konzert.
Lillian spürte es, als ob Clerfayt zu ihr spräche. Es hing den ganzen Tag
unsichtbar über ihr; sie überließ sich ihm, so wie sie sich dem heißen sizilianischen
Himmel und dem weißen Glanz des Meeres überließ. Clerfayt war immer da; –
ob sie im Schatten eines Götterbildes unter den Pinien schlief oder auf einer
Bank saß und Petrarca las oder die Bekenntnisse des Augustinus, – ob sie
am Meere hockte ohne einen Gedanken in der Welt oder auf der Terrasse saß in
der rätselhaften Stunde vor dem Zwielicht, wenn die Italienerinnen bereits
felicissima notte sagen und hinter jedem Wort das Fragezeichen eines
unbekannten Gottes zu stehen scheint – das ferne Rollen war immer da, die
Trommel des Himmels und des Abends, und es fand immer eine Resonanz in ihrem
Blut, das leise bebte und antwortete. Abends kam Clerfayt dann, begleitet von
dem Grollen, das anstieg zum Donner, wenn der Wagen heranfuhr. »Wie die Götter
der Antike«, sagte Levalli zu Lillian. »Unsere modernen Condottieri erscheinen
mit Donner und Blitz, als wären sie Söhne Jupiters.«
»Sie lieben es
nicht?«
»Ich mag keine
Motoren mehr. Sie erinnern mich zu sehr an den Lärm der Bombenflugzeuge im
Kriege.« Der sensitive, beleibte Mann legte ein Klavierkonzert von Chopin auf
das Grammophon. Lillian sah ihn nachdenklich an. Merkwürdig, dachte sie, wie
einseitig man immer nur an seine eigene Erfahrung und die eigene Gefahr
gebunden ist: Ob dieser Ästhet und Kunstkenner je darüber nachdenkt, was die
Thunfische empfinden, wenn seine Flotte sie abschlachtet? Levalli gab einige
Tage später ein Fest. Er hatte ungefähr hundert Gäste dazu eingeladen. Kerzen
und Windlichter brannten, die Nacht war sternenklar und warm und das Meer glatt
und ein mächtiger Spiegel für den riesigen Mond, der tief und rot am Horizont
schwebte wie ein Ballon von einem anderen Planeten. Lillian war entzückt.
»Gefällt es Ihnen?« fragte Levalli.
»Es ist alles, was
ich mir gewünscht habe.«
»Alles?«
»Nahezu alles. Ich
habe vier Jahre davon geträumt, wenn ich in den Bergen zwischen Schneewänden
gefangen saß. Es ist völlig das Gegenteil von Schnee – und völlig das
Gegenteil von Bergen ...«
»Das freut mich«,
sagte Levalli. »Ich gebe nur noch selten Feste.«
»Warum? Weil es
sonst zur Gewohnheit würde?«
»Nein. Es macht
mich – wie soll ich sagen – melancholisch. Meistens will man etwas
vergessen, wenn man Feste gibt – aber man vergisst es nicht. Auch die
anderen vergessen es nicht.«
»Ich will nichts
vergessen.«
»Nein?« fragte
Levalli höflich.
»Nicht mehr«,
erwiderte Lillian.
Levalli
Weitere Kostenlose Bücher