E.M. Remarque
hinter sich. Mehr
brauchen wir nicht. Wir halten die beiden Plätze vor ihm.«
»Los! Fertig!«
schrie der Chefmonteur.
Der Wagen sauste
ab. Vorsicht, dachte Clerfayt, nicht überdrehen! Die Tribünen waren etwas
Buntes und Weißes und Blitzendes, dann war nur noch die Straße da, der
grellblaue Himmel und der Punkt am Horizont, der Staub und Duval und sein Wagen
werden mußte.
Die Strecke stieg
an auf vierhundert Meter. Das Gebirgsmassiv der Madonie kam heran.
Zitronenwälder, das Silberflirren der Olivenhaine, Kurven, Serpentinen,
Haarnadelkurven, fliegender Schotter, der heiße Atem des Motors, ein Insekt,
das wie ein Geschoß gegen die Brille prallte, Kaktushecken, auf- und
absteigende Kehren, Felsen, Schutt, Kilometer hinter Kilometer, dann grau und
braun die alte Festungsstadt Caltavuturo, Staub, mehr Staub, und plötzlich ein
spinnenartiges Insekt: ein Wagen.
Clerfayt war
schneller in den Kurven. Er kam langsam heran. Zehn Minuten später erkannte er
den Wagen; es mußte Duval sein. Clerfayt hing hinter ihm, aber Duval gab die
Straße nicht frei. Er blockierte Clerfayt bei jedem Versuch, ihn zu überholen.
Es war ausgeschlossen, daß er ihn nicht gesehen hatte. Zweimal waren die Wagen
in einer sehr engen Kurve so gefahren, daß die Fahrer einander ins Gesicht
sehen konnten, Duval hinter und Clerfayt vor der Kurve. Duval behinderte
Clerfayt absichtlich.
Die Wagen jagten
dicht hintereinander her. Clerfayt lauerte im Staub, bis die Straße in weitem
Bogen anstieg und die Fernsicht freigab. Er wußte, daß dort eine breite Kurve
kam; Duval fuhr sie weit nach außen, um es Clerfayt unmöglich zu machen, ihn
rechts zu überholen und um sie von der Mitte zu schneiden. Clerfayt hatte damit
gerechnet; er schnitt die Kurve scharf vor Duval, schoß innen an ihm vorbei, der
Wagen rutschte, er fing ihn, der überraschte Duval wurde für eine Sekunde
langsamer, und Clerfayt war vorbei. Der Staub war jetzt hinter ihm, er sah
plötzlich den Ätna mit seiner hellen Rauchwolke majestätisch vor dem kochenden
Himmel, und sie rasten weiter. Clerfayt voran, aufwärts nach Polizzi, dem
höchsten Punkt der Strecke.
Es war dieses kurze
Stück, der Moment des Passierens, nach Kilometern durch dichten Staub, und dann
plötzlich der blaue Himmel, die reine Luft, die wie Wein gegen sein
staubverkrustetes Gesicht schlug, die Hitze des rasenden Motors, die Sonne, der
Vulkan in der Ferne, die Welt, die wieder da war, einfach, groß, still,
unbeteiligt an Rennen und Menschen, und der prometheushafte Augenblick, als der
Wagen die Höhe erreichte, die Clerfayt hochrissen und über sich selbst
hinwegwarfen, so daß er an nichts mehr dachte, aber alles gleichzeitig war: der
Wagen, den er in den Händen hielt, der Vulkan, dessen Trichter in die Hölle
führte, und der Himmel aus blauem heißen Metall, gegen den er anstürmte.
Sekunden später stürzte die Straße sich wieder von der Höhe hinab, in Kurven
auf Kurven, der Wagen mit ihr, schaltend, schaltend, wer am besten schalten
konnte, mußte hier gewinnen, hinunter ins Tal des Fiume Grande, gleich darauf
wieder neunhundert Meter hinauf in eine Mondlandschaft, dann wieder herunter,
wie in einer Riesenschaukel, bis bei Collesano die Palmen aufs neue begannen,
die Agaven, die Blumen, das Grün und das Meer und bei Campo Felice die einzige
gerade Strecke des Rennens, sieben Kilometer am Strand entlang.
Clerfayt dachte zum
ersten Male wieder an Lillian, als er anhielt, um Reifen zu wechseln. Er sah
die Tribünen verschwommen, wie einen bunten Blumenkasten; das Röhren des Motors
schien zu ersterben, und in der Stille, die keine war, aber ihm so vorkam,
hatte er das Gefühl, als wäre er vorher hochgeworfen
Weitere Kostenlose Bücher