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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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oran­ge­far­be­nen War­nungs­lich­ter die Un­tie­fen ent­lang, die
sich wie ei­ne leuch­ten­de Ket­te zärt­lich um den Nacken von San Gior­gio Mag­gio­re
leg­ten. Die­se Stadt war am wei­tes­ten von al­len Ber­gen fort, dach­te Lil­li­an.
Wei­ter konn­te man nicht ent­flie­hen. Nichts zer­malm­te hier; al­les strei­chel­te.
Und al­les war fremd und zau­ber­haft. Nie­mand kennt mich hier, dach­te sie. Und
nie­mand weiß, daß ich hier bin! Sie emp­fand die­se An­ony­mi­tät wie ein
son­der­ba­res, stür­mi­sches Glück, das Glück, ei­nem Glück ent­kom­men zu sein, auf
kur­ze Zeit oder für im­mer.
    Es ver­stärk­te sich,
als sie über die Pi­az­za ging. Et­was vom Aben­teu­er je­den An­fangs war dar­in. Sie
hat­te kein Ziel; sie ließ sich trei­ben und lan­de­te im un­te­ren Re­stau­rant von
Qua­dri, weil sie es char­mant fand, daß ein klei­ner Ess-Sa­lon mit Wand­ma­le­rei­en
nach Sze­nen aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert und gol­de­nen Ap­pli­ken sich ein­fach
nach der Stra­ße zu öff­ne­te. Sie aß Scam­pis und trank einen leich­ten wei­ßen
Wein. Ne­ben ihr an den Wän­den tanz­ten Mas­ken. Sie fühl­te sich ähn­lich,
ent­kom­men, ver­steckt in ei­ner un­sicht­ba­ren Mas­ke, in dem­sel­ben sanf­ten Rausch
ver­ant­wor­tungs­lo­ser Frei­heit, den je­de Mas­ke gab. Tau­send An­fän­ge la­gen vor ihr
in der ro­sa Däm­me­rung, so wie die tau­send Gas­sen die­ser Stadt, die die Mas­ken
lieb­te. Wo­hin führ­ten sie? Zu un­be­kann­ten, un­ge­nann­ten neu­en Ent­de­ckun­gen oder
nur zu reiz­vol­len, er­mü­den­den Wie­der­ho­lun­gen, aus de­nen man mit dem
Kat­zen­jam­mer her­vor­kam, das Kost­bars­te dar­an ver­schwen­det zu ha­ben, was es gab:
Zeit? Man muß sie ver­schwen­den, dach­te Lil­li­an, ge­dan­ken­los, trotz al­lem, oder
man ist wie der Mann im Mär­chen, der so viel woll­te für sein Gold­stück, daß er
sich nicht ent­schei­den konn­te, was, und dar­über starb.
    »Wo­hin kann ich
heu­te abend ge­hen?« frag­te sie den Kell­ner.
    »Heu­te abend? Viel­leicht
ins Thea­ter, Si­gno­ra.«
    »Gibt es da noch
Plät­ze?«
    »Wahr­schein­lich. Im
Thea­ter gibt es im­mer noch Plät­ze.«
    »Wie kommt man zum
Thea­ter?«
    Der Kell­ner be­gann
ihr den Weg zu be­schrei­ben.
    »Kann man kei­ne
Gon­del neh­men?« frag­te sie.
    »Auch das. Frü­her
hat man es im­mer ge­tan. Jetzt nicht mehr. Das Thea­ter hat zwei Ein­gän­ge. Es ist
nicht weit zu ge­hen.«
    Lil­li­an nahm ei­ne
Gon­del beim Pa­laz­zo Du­ca­le. Der Kell­ner hat­te recht ge­habt, au­ßer ihr kam nur
noch ei­ne zwei­te Gon­del an. Ein äl­te­res ame­ri­ka­ni­sches Lie­bes­paar saß dar­in und
pho­to­gra­phier­te mit Blitz­licht. Es pho­to­gra­phier­te auch Lil­lians Gon­del. »Ei­ne
Frau soll­te in Ve­ne­dig nicht al­lein sein«, sag­te der Gon­do­lie­re, wäh­rend er ihr
beim Aus­stei­gen half.
    »Ei­ne jun­ge Frau
noch we­ni­ger. Ei­ne schö­ne nie.«
    Lil­li­an sah ihn an.
Er war alt und wirk­te nicht, als wol­le er sich selbst als Me­di­zin an­prei­sen.
»Kann man hier je al­lein sein?« sag­te sie und sah in den ro­ten Abend über den
Dä­chern.
    »Hier mehr als
ir­gend­wo an­ders, Si­gno­ra. Wenn man nicht hier ge­bo­ren ist, na­tür­lich.«
    Lil­li­an kam ge­ra­de
zu­recht, als der Vor­hang auf­ging. Ein Lust­spiel aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert
wur­de ge­spielt. Sie sah sich im Thea­ter um, das vom Licht der Büh­ne und der
Sof­fit­ten ge­dämpft er­leuch­tet war. Es war das schöns­te Thea­ter der Welt, und es
muß­te vor der Ein­füh­rung des elek­tri­schen Lich­tes, mit sei­nen vie­len Ker­zen und
den be­mal­ten Rän­gen zau­ber­haft ge­we­sen sein. Es war es noch im­mer.
    Sie blick­te auf die
Büh­ne. Sie ver­stand nicht viel Ita­lie­nisch und gab es bald auf, zu­zu­hö­ren. Das
merk­wür­di­ge Ge­fühl von Ein­sam­keit und Schwer­mut, das sie schon in Rom ge­habt
hat­te, er­griff sie wie­der. Hat­te der Gon­do­lie­re recht? Oder kam es da­her, daß
sie es auf ei­ne so nach­drück­li­che Wei­se sym­bo­lisch fand, daß man ir­gend­wo
an­kam, ei­nem Spiel lausch­te, von dem man nichts ver­stand, und es ver­las­sen
muß­te, wenn man ge­ra­de be­gann, et­was zu ah­nen?

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