E.M. Remarque
etwas in mir warnte: Tu es nicht! Ich hatte einen
lichten Augenblick, in dem ich sah, daß es nichts genützt hätte. Die Probleme
wären nur verschoben, aber nicht gelöst worden, und ich hätte ein wichtiges
emotionelles Argument für später verloren. Die Flucht war das Vernünftigste.
Dies war mein letzter günstiger Moment. »Wie du willst«, sagte ich, ging rasch
auf die Tür zu und verschwand.
Ich mußte auf den Lift warten und horchte.
Ich hörte nichts. Vielleicht erwartete sie, ich käme zurück.
***
Bei den Lowy Brothers
bestrahlte das Schaufensterlicht französische Messingleuchter mit weißen
Porzellanblumen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Ich blieb hier abermals stehen
und betrachtete die Auslagen. Ich wanderte weiter an trostlos hellen, leeren
›Hamburger-Buden‹ vorbei, in denen man an einer langen Bar gebratenes Gehacktes
oder Würstchen mit Coca-Cola oder Orangensaft serviert bekam, etwas, an das ich
mich bisher noch nicht gewöhnen konnte.
Zum Glück war Melikow an diesem Abend
Nachtportier. »Cafard?« fragte er.
Ich nickte. »Sieht man mir das an?«
»Auf eine Meile. Willst du etwas trinken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin noch im
ersten Stadium, da macht Alkohol es nur noch schlimmer.«
»Was ist das erste Stadium?«
»Daß man glaubt, sich schlecht, humorlos
und dumm benommen zu haben.«
»Ich dachte, du wärst darüber hinaus.«
»Anscheinend nicht.«
»Wann kommt das zweite Stadium?«
»Wenn ich annehme, daß alles für mich zu
Ende ist. Durch meine Schuld.«
»Wie wäre es wenigstens mit einem Glas
Bier? Setz dich in den Plüschsessel und fechte es aus.«
»Gut.«
Ich versank in exzessive Träumerei, während
Melikow Mineralwasserflaschen und später auch Whiskys im Hotel herumschleppte.
»Guten Abend«, sagte eine Stimme hinter
mir.
Lachmann! Ich wollte aufstehen und
flüchten. »Du hast mir gerade noch gefehlt«, sagte ich.
Er drückte mich beschwörend in meinen
Sessel zurück. »Ich will dir nichts vorjammern«, flüsterte er. »Mein Unglück
ist zu Ende. Ich will jubeln!«
»Hast du sie erwischt, du
Leichenfledderer?«
»Wen?«
Ich hob den Kopf. »Wen? Das ganze Hotel
hast du mit deinen Liebesklagen erschüttert, daß die Lampen gezittert haben,
und jetzt hast du die Dreistigkeit zu fragen: Wen?«
»Ich habe es hinter mir«, erklärte
Lachmann. »Ich vergesse schnell.«
Ich sah ihn interessiert an. »So, du
vergißt schnell? Hast du deshalb monatelang gejammert?«
»Natürlich! Man vergißt nur schnell, wenn
man alles herausräumt.«
»Wie ein Kanalräumer?«
»Es kommt auf die Bezeichnung nicht an. Ich
habe nichts erreicht. Man hat mich betrogen, der Mexikaner und die Donna von
Puerto Rico.«
»Niemand hat dich betrogen. Du hast nur
nicht erreicht, was du erreichen wolltest. Das ist ein Unterschied.«
»Nach zehn Uhr abends mache ich solche
Unterschiede nicht mehr.«
»Du bist sehr munter«, sagte ich mit etwas
Neid. »Bei dir scheint es wirklich schnell zu gehen.«
»Ich habe ein Juwel entdeckt«, wisperte
Lachmann. »Ich will noch nicht darüber reden. Ein Juwel ohne Mexikaner.«
Melikow winkte von der Theke her. »Telefon,
Robert.«
»Wer?«
»Natascha.«
Ich hob den Hörer ab. »Wo bist du?« fragte
Natascha.
»Auf Silvers' Party.«
»Unsinn! Du trinkst mit Melikow Wodka!«
»Ich liege vor einem Plüschsessel auf den
Knien, bete dich an und verfluche mein Schicksal. Ich bin zerschmettert.«
Sie lachte. »Komm zurück, Robert.«
»Mit Waffen?«
»Ohne Waffen, du Dummkopf! Du darfst mich
nicht allein lassen, das ist alles.«
Ich trat auf die Straße. Sie lag schimmernd
im späten Nachtlicht da, sehr friedlich, der Gegensatz zu allen Taifunen, und
war voll von Wind, von Träumen und stiller Atemlosigkeit. Sie war mir nie schön
vorgekommen, jetzt war sie
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