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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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in der man ge­wöhn­lich aß, wie ins Ki­no oder Thea­ter. Sie
er­spar­ten mir vie­le Un­be­quem­lich­kei­ten. Na­ta­scha konn­te ziem­lich är­ger­lich
wer­den, wenn sie plötz­lich von die­sem to­ben­den Hun­ger ge­blen­det wur­de und weit
und breit nicht ein­mal ein Stück Brot greif­bar war. Sie konn­te nichts da­ge­gen
ma­chen, es war wie ei­ne Art geis­ti­ger Ver­wir­rung. Sie spür­te Hun­ger ein­fach
viel stär­ker als an­de­re Men­schen, so, als hät­te sie schon den gan­zen Tag
ge­fas­tet. Ich trug meis­tens auch ein klei­nes Fläsch­chen in mei­ner Rock­ta­sche,
das et­wa zwei große Schluck Wod­ka ent­hielt. Mit ei­nem Hap­pen Steak-Tar­tar gab
das ei­ne fast kö­nig­li­che Mahl­zeit, auch wenn der Wod­ka na­tür­lich nicht kalt
war. Es war ei­ne Vor­sichts­maß­nah­me, die mir der Mann, von dem ich mei­nen Paß
be­kom­men, bei­ge­bracht hat­te. Kör­per­li­cher Kom­fort schlägt je­den Geis­tes­blitz,
hat­te er mir er­klärt. Man braucht sich we­ni­ger an­zu­stren­gen, und der an­de­re ist
glück­lich. Ich war­te­te dar­auf, daß Na­ta­scha die Jah­res­zei­ten wie­der um ei­ne
Sai­son vor­aus­stell­te. Es wa­ren nicht mehr vie­le Pelz­män­tel im Ate­lier zu se­hen,
da­für ei­ni­ge leich­te Breit­schwanz­ja­cken, die von den Lehr­mäd­chen auch schon
zu­sam­men­ge­packt wur­den. Bei Horst war es Mai. Ko­stü­me in Wol­le und hel­len
Far­ben: ko­balt­blau, nil­grün, mais­gelb, wüs­ten­braun und wie die ver­füh­re­ri­schen
Na­men sonst noch wa­ren. Mai, dach­te ich. Im Mai soll der Krieg zu En­de sein.
Was dann? hat­te Kahn ge­sagt. Was dann? dach­te ich und sah Na­ta­scha an, die in
ei­nem kur­z­en Ja­cken­kleid mit ei­nem we­hen­den Chif­fon­schal aus dem Hin­ter­grund
her­vor­kam, schmal und et­was schwan­kend, als wä­ren ih­re Bei­ne zu lang. Wo wür­de
ich im Mai sein? Wie­der ein­mal fiel mir die Zeit aus­ein­an­der wie ei­ne plat­zen­de
Tü­te mit To­ma­ten, und das sinn­lo­se Ka­lei­do­skop be­gann sich zu dre­hen. »Wir sind
ver­dor­ben für ein nor­ma­les Le­ben«, hat­te Kahn ge­sagt, »kön­nen Sie sich mich
vor­stel­len als Ra­dio­ver­tre­ter mit ei­ner Fa­mi­lie, der de­mo­kra­tisch wählt, Geld
bei­sei­te legt und ver­sucht, Kir­chen­vor­ste­her in sei­nem Spren­gel zu wer­den? Wir
sind ver­dor­ben, vie­le ha­ben et­was ab­ge­kriegt wie die Op­fer ei­ner Ex­plo­si­on. Ein
Teil ist oh­ne all­zu schwe­re Ver­let­zun­gen da­von­ge­kom­men, man­che ha­ben so­gar
pro­fi­tiert, an­de­re sind Krüp­pel ge­wor­den, und die Ver­letz­ten, auf die es am
meis­ten an­kommt, wer­den sich nie mehr zu­recht­fin­den, und schließ­lich wer­den sie
un­ter­ge­hen.« Mai 1945! Oder Ju­ni oder Ju­li! Die Zeit, die all die Jah­re hin­durch
so quä­lend da­hin­ge­schli­chen war, schi­en auf ein­mal zu ra­sen. Ich starr­te zu
Na­ta­scha hin­über, die jetzt von al­len Sei­ten be­leuch­tet wur­de und auf der
Platt­form stand, et­was vor­ge­r­eckt, das Ge­sicht im Pro­fil, wahr­schein­lich leicht
nach Zwie­beln duf­tend, die Ga­li­ons­fi­gur ei­nes un­sicht­ba­ren Schif­fes, das in
ei­nem Meer von Licht mit der Zeit um die Wet­te ras­te.
    Mit ei­nem Schlag er­lo­schen die
Schein­wer­fer. Dif­fus und grau kämpf­ten sich die ge­wöhn­li­chen Lam­pen des Stu­di­os
durch den schein­ba­ren Ne­bel. »Schluß!« rief Horst. »Ein­pa­cken! Ge­nug für
heu­te!«
    Na­ta­scha kam durch das Ge­ra­schel der
Sei­den­pa­pie­re und das Ra­scheln der Kar­tons her­an. Sie trug den ge­lie­he­nen
Pelz­man­tel und die Ru­bi­nen-Ohr­rin­ge. »Ich konn­te nicht an­ders«, sag­te sie. »Ich
ha­be sie be­hal­ten für heu­te abend. Mor­gen schi­cke ich sie zu­rück. Ich ha­be das
schon öf­ter ge­tan. Der blon­de jun­ge Mann weiß Be­scheid. Sie sind herr­lich.«
    »Und wenn du sie ver­lierst?«
    Sie sah mich an, als hät­te ich zur falschen
Zeit ei­ne ob­szö­ne Be­mer­kung ge­macht. »Sie sind ver­si­chert«, er­wi­der­te sie. »Van
Cleef und Ar­pels ha­ben al­les ver­si­chert, was sie uns lei­hen.«
    »Gut«, sag­te ich rasch, um nicht, wie oft
in sol­chen Si­tua­tio­nen, den Klein­bür­ger an den Kopf ge­wor­fen zu be­kom­men.

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