E.M. Remarque
Wein auf den Boden, bevor sie
tranken, als Opfer für die Götter. Aus demselben Grunde gehe ich in ein gutes
Restaurant. Um beim Wein zu bleiben, wir werden eine Flasche Cheval Blanc
trinken. Den gibt es noch im Voisin. Einverstanden?«
»Einverstanden. Wir können den letzten
kleinen Rest dann auf die Teller tropfen lassen, um die Götter bei guter Laune
zu halten.«
Das Voisin war voll. In Kriegszeiten sind
die Restaurants sehr häufig voll. Jeder will noch was vom Leben haben, selbst
wenn er nicht in Gefahr ist. Das Geld ist lockerer, als wenn im Frieden die
Zukunft sicherer erscheint.
Kahn schüttelte den Kopf. »Ich bin heute
nicht zu gebrauchen, Ross. Carmen hat mir geschrieben. Endlich! Sie findet, es
sei besser, wenn wir uns trennten. In Freundschaft. Wir verständen uns nicht.
Ich soll ihr nicht mehr schreiben. Hat sie jemand anders?«
Ich musterte ihn betroffen. Es schien ihn
schwer zu treffen. »Davon habe ich nichts gemerkt«, sagte ich. »Sie lebt
ziemlich einfach in Westwood bei einer Wirtin zwischen Hühnern und Hunden. Ich
habe sie einige Male gesehen. Sie war zufrieden, nichts zu tun. Ich glaube
nicht, daß sie einen Freund hat.«
»Was würden Sie tun? Hinfahren? Sie
zurückholen? Würde sie kommen?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich auch nicht. Was soll ich tun?«
»Warten. Und nicht mehr schreiben.
Vielleicht kommt sie von selbst zurück.«
»Glauben Sie das?«
»Nein«, sagte ich. »Liegt Ihnen so viel
daran?«
Er schwieg eine Weile. »Mir sollte gar
nichts daran liegen. Mir lag auch nicht viel daran, es war eine Marotte. Mit
einem Male ist es keine mehr. Wissen Sie, warum?«
»Weil sie weg will. Warum sonst?«
Er lächelte melancholisch. »Einfach, wie?
Und wie man es trotzdem nicht begreift, wenn es passiert!«
Ich dachte an Natascha. War es mir mit ihr
nicht auch beinahe passiert? Und passierte es mir nicht immer noch? Ich schüttelte
den Gedanken ab und dachte darüber nach, was ich Kahn sagen sollte. All das
paßte überhaupt nicht zu ihm. Weder Carmen, noch seine Situation, noch seine
Melancholie. Es war lächerlich, ging nicht zusammen und war deshalb gefährlich.
Wäre es einem Poeten mit Phantasie passiert, so wäre es lächerlich und
verständlich gewesen. Bei Kahn war es unverständlich. Er schien sich da in
etwas geflüchtet zu haben, das in seinem Kontrast von tragischer Schönheit und
phlegmatischer Seele als intellektuelle Spielerei amüsant war. Daß er es auf
einmal ernst nahm, war ein unheilvolles Zeichen des eigenen Verfalls.
Er hob sein Glas. »Wie wenig man über
Frauen zu sagen hat, wenn man glücklich ist, wie? Und wieviel, wenn es nicht so
ist.«
»Das ist wahr. Glauben Sie, daß Sie mit
Carmen glücklich geworden wären?«
»Sie meinen, wir paßten nicht zusammen? Das
stimmt. Aber von Menschen, die zusammenpassen, kann man sich leicht trennen.
Das ist wie ein Topf und ein Deckel, die passen. Sie lösen sich ohne
Schwierigkeiten. Aber wenn sie nicht passen und man einen Hammer nehmen muß, um
den Deckel auf den Topf zu schlagen, da bricht leicht etwas, wenn man sie
wieder trennen will.«
»Worte«, sagte ich. »Nichts davon ist wahr.
Alle Sprichwörter lassen sich ins Gegenteil umkehren.«
Er raffte sich zusammen. »Alle Situationen
auch. Vergessen wir Carmen. Ich bin wahrscheinlich etwas angeschlagen. Der
Krieg geht zu Ende, Robert.«
»Sind Sie deshalb angeschlagen?«
»Nein. Aber was dann? Wissen Sie, was Sie
dann tun wollen?«
»Wer weiß das genau! Es ist unvorstellbar,
daß der Krieg zu Ende gehen kann. Ebenso unvorstellbar ist es, was man dann tun
wird.«
»Wollen Sie hier bleiben?«
»Ich möchte heute nicht darüber reden.«
»Sehen Sie? Ich denke immer darüber nach.
Für die Emigranten wird dann die große Ernüchterung kommen. Das letzte Halt war
das Unrecht, das ihnen zugefügt worden ist. Plötzlich ist es
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